So wirst du ein guter Pferdemensch

Ein guter Pferdemensch sein, das wär’s! Foto: Isabel Tomczyk Photography

Wir wollen unseren Pferden gute Partner sein. Und machen uns auf dem Weg, ein guter Pferdemensch zu werden.

Wie werden wir also zu echten Pferdemenschen? Wir brauchen drei stabile Säulen: 

1. Wissen in Theorie

2. Methodik in der Praxis

3. Beobachtungsgabe, um das Wissen einzuordnen und es in der Praxis ans Pferd anzupassen

Damit können wir uns eine individuelle Gebrauchsanweisung für unser Pferd selbst schreiben. Horsemanship kann uns mit Wissen, Methodiken und Techniken gute Fragen und Ansätze liefern und unsere Beobachtungsgabe die Antworten.

1. Wissen

Ohne Wissen stochern wir im Nebel und uns fehlt die Voraussetzung, um überhaupt Kommunikation und darüber eine harmonische Partnerschaft zum Pferd aufbauen zu können. Deswegen sollten wir unbedingt in Erfahrung bringen, wie Pferde ticken und wie sie lernen. 

Im Horsemanship gibt es dafür eine Reihe von Prinzipien, die oft auf Aussagen der Väter der Bewegung zurückgehen. Zwei Klassiker sind zum Beispiel „Make the wrong thing difficult and the right thing easy“ (Erschwere das falsche Verhalten und erleichtere das richtige Verhalten) oder „Pressure motivates, release teaches“ (Druck motiviert, Nachlassen lehrt).

Für mich sind das tatsächlich Wahrheiten, die immer und für alle Pferde gelten. 

Die Herausforderung dabei: Sie beschreiben keine konkrete Situation (sonst wären sie nicht allgemeingültig) und lassen großen Handlungs- und Interpretationsspielraum. Wir wir die Prinzipien also individuell umsetzen, hängt immer vom Pferd ab. Dazu mehr unter Punkt 3.

2. Methoden

Im Umgang mit dem Pferd gibt es eine ganze Reihe von Fähigkeiten, die wir brauchen und uns aneignen sollen. So wie ein guter Reiter gelernt hat, in Angstsituationen nicht mit den Händen zu grabschen und den Beinen zu klammern, so hat der gute Pferdemensch sich ebenfalls einige Verhaltensweisen antrainiert. Ein guter Reiter ist für mich übrigens nicht automatisch ein guter Pferdemensch : )

Der gute Pferdemensch hat gelernt

  • seine Energie hochfahren, genauso aber auf null herunterfahren zu können
  • Hilfen dosiert zu geben und fein und klein anzufangen
  • Seine Hände langsam zu schließen und schnell zu öffnen (so dass der Druck langsam steigt, die Release aber zügig kommt)
  • Sich dem Pferd freundlich anzunähern und es nicht zu überfallen
  • Wie wichtig Fokus und ein klarer Plan sind und wie man das umsetzen kann
  • Seine Emotionen im Griff zu behalten
  • … die Liste lässt sich noch beliebig verlängern. 

Wissen und Erfahrung der Anwendung in der Praxis allein machen uns allerdings noch nicht zu guten Pferdemenschen. Hier können wir nämlich durchaus in eine Falle laufen, die dem Horsemanship als Bewegung oder Trainingsansatz gern unterstellt wird: 

„Ihr habt ja nur einen Cookie Cutter Approach, eine One size fits all-Lösung!“, also eine Lösung, die allen Pferden übergestülpt wird, egal, wie gut oder schlecht sie passt. Ganz nach dem Motto: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, der sieht in jedem Problem einen Nagel. Genau deswegen brauchen wir den dritten Pfeiler: Die Beobachtungsgabe.

Guter Pferdemensch, Pferd mit Mensch, Bodenarbeit
Knotenhalfter*, Rope* und Stick*? Das muss Horsemanship sein! Foto: Isabel Tomczyk Photography

3. Beobachtungsgabe

Unsere Beobachtungen und unser genaues Hinsehen erlauben es uns erst, unser Wissen und unsere Kompetenz in der Umsetzung von Methoden und Techniken ans Pferd und seine individuellen Bedürfnisse anzupassen. Hierher gehören auch Bewusstheit und von mir aus auch Achtsamkeit.

Auch darauf haben die Väter des Horsemanship vor Jahrzehnten schon hingewiesen mit Aussagen wie:

„Adapt to fit the situation“ (Anpassen, um der Situation gerecht zu werden“)

Tom Dorrance

oder

„It depends“ (es kommt darauf an )

Tom Dorrance

So lauten zwei zentrale Zitate, die zeigen, dass wir Menschen unser Verhalten anpassen müssen und dass es auf verschiedene Faktoren ankommt, wie man zu einem gewissen Zeitpunkt mit einem gewissen Pferd, Verhalten oder Problem umgeht.

Dafür müssen wir unser Pferd kennen und es verstehen: Wie tickt unser Pferd? Was für einen Charakter hat es? Wie kommuniziert es? Was ist ihm wichtig?

Ein guter Pferdemensch ist für mich also jemand, der sein Wissen in der Praxis so anwenden kann, dass er seinem Pferd hilft und es unterstützt. 

Die PN hat mich zum Weiterdenken und Experimentieren gebracht – weg vom starren Folgen von Prinzipien und Methoden, die kluge Menschen aufgestellt haben, hin zu einer individuellen Variante davon. Eine zentrale Erfahrung für mich dabei war: Die Grundsätze des Horsemanship sind zwar gültig, sollten aber individuell erweitert und ergänzt werden.

Im Folgenden gebe ich ein paar Beispiele, was ich damit genau meine.

Stoik, Passivität, Neutralität oder Verbindung

Eine zentrales Element im Horsemanship ist zum Beispiel, absolut neutral und emotionsfrei sein zu können. Diese Stoik hilft es unsere Pferden zu verstehen, dass sie etwas richtig gemacht haben. Das gleiche gilt für Druck weg und Pause machen, das Pferd in Ruhe lassen. Sie gelten als die Belohnung schlechthin für Pferde. Aber nicht für alle.

Meinem zum Beispiel reicht das nicht. Werde ich zu passiv, zu still, zu neutral, verliert er die Verbindung zu mir. Er empfindet meine Stille als einen Abbruch der Kommunikation. Und gerade auf die legt er sehr großen Wert: Die PN muss wissen, dass eine Verbindung da ist, er braucht Antworten auf seine Fragen (und die stellt er dauerhaft). 

Release, Druck weg oder Stimmlob

Einfach „nur“ den Druck einer Hilfe wegzunehmen, reicht für ihn nicht als Bestätigung, dass er etwas gut gemacht hat. Er braucht eine stärkere Rückmeldung. Auf die Distanz ist das tatsächlich meine Stimme geworden. Das ist insofern witzig, als dass ich das Dauerquatschen mit dem Pferd eigentlich als lästig empfinde und auch als Verwässerung von klaren Signalen. Meine Ansicht war: Stille und Ruhe ist der anstrebenswerte Zustand.

Die PN sieht das aber anders. Ich habe ihn mit der Stimme in die Innenstellung beim Longieren gequatscht, indem ich ihn jedes Mal gefeiert habe, wenn er es angeboten hat. Mit dem Ergebnis, dass er es immer öfter tut. (Der Rahmen war hier die Equikinitik. Für mich als Horsemanshipler ist das eine Herausforderung, weil wir die Pferde ja nicht durch Aufhören belohnen können, da nach festen Intervallen gearbeitet wird. Die positive Rückmeldung war in unserem Fall also das Stimmlob).

Auch in schwierigeren Situationen, wenn er sich anspannt oder ihn etwas verunsichert, hilft es ihm, wenn ich eine verbale Verbindung aufbaue und ihn anspreche. Das unterbricht häufig seine Gedanken und er verändert seinen Fokus weg vom Gruselding hin zu mir.

Guter Pferdemensch, Pferd mit Mensch, Lachen
Rückmeldung, bitte: Die PN hat gern eine klare Kommunikation. Auch Lachen gehört dazu. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Personal space oder das Bedürfnis nach Nähe

Meine Annahme: „Lass ihn in Frieden und in Ruhe“ wird von Pferdeseite geschätzt. Die PN gehört allerdings eher in die Kategorie „Aufmerksamkeit und Wellness jetzt“. Streicheln und naher Kontakt werden nicht nur an sich gern genommen. 

Wenn er verunsichert ist, stellt er sich gern auf meine Zehen (im übertragenen Sinne – er steht natürlich daneben) und sucht Nähe. Da die PN durchaus Spacko-Potenzial haben kann, habe ich Wert anfangs darauf gelegt, dass er einen Sicherheitsabstand von etwa zwei Metern hält, wenn er so oben raus ist, dass er seine Füße nicht alle parallel und gleichzeitig auf dem Boden halten kann. Für ihn bedeutet das aber eine Abwehr von Kontakt und ein Abbrechen der Verbindung durch mich. Ich experimentiere also zurzeit damit, ihn etwas näher heranzulassen, damit er sich wieder besser fühlen kann (was auch gelingt). Das soll jetzt keine Aufforderung sein, euren personal space, eure Bubble nicht zu verteidigen, wenn es gefährlich wird! Eure Sicherheit geht immer vor! 

Ich probiere die unterschiedlichen Grade des Heranlassens mit der PN nur aus, weil ich ihn ohne Probleme mit wenig Aufwand von mir weghalten kann – auch wenn es wirklich dumm laufen sollte. (Die Voraussetzung dafür ist mein Steckenpferd, die Vorhandkontrolle: Das Pferd darf nicht mit der Schulter schieben). 

Mein Ziel ist es, ihm zu erklären, dass er sich auch etwas weiter entfernt bei Gefahr gut und sicher fühlen kann und nicht auf meinen Schoß muss. Bis dahin halte ich ihm im übertragenen Sinne durch größere Nähe die Hand.  

Follow the plan oder mache Experimente

Ich mag Struktur und ein schrittweises Vorgehen, das aufeinander aufbaut. Warwick Schiller nennt das „create a tool before you use a tool“ – „erschaffe das Werkzeug, bevor du es benutzt“. Wir sollten dem Pferd also eine Hilfe erst erklären und beibringen, bevor wir sie einsetzen. Gesunder Menschenverstand. Wie soll das Pferd auch richtig reagieren, wenn es gar nicht weiß, was wir eigentlich von ihm wollen.

Warwick bringt den Pferden zum Beispiel bei, auf das Annehmen der Zügel im Genick abzukippen und rückwärts zu treten. So erreicht er eine aktive Hinterhand. Nimmt er jetzt die Zügel im Trab an und fügt Bein hinzu, erreicht er ein schönes Vorwärts mit aktivem Hinterbein. Ein für mich super schlüssiges Vorgehen, das ich so mit der PN umsetzen wollte. 

Gleichzeitig hat mich eine meiner netten Miteinstellerinnen auf die Idee gebracht, doch einfach mal zu experimentieren, was geht und was nicht, ohne vorher groß aktiv etwas beizubringen.

  • Ich habe schnell gemerkt, dass ich für die Anfänge einer leichten seitlichen Verschiebung nicht groß meine Schenkel wie nach Lehrbuch einsetzen muss – es reicht, wenn ich meine Schultern und die Hüfte drehe und mein Gewicht verlagere.
  • Interessanterweise klappte das genauso beim korrekten Durchreiten einer Ecke: Statt einer Hilfenkaskade (die die PN auch noch gar nicht kennt und nach der ich nicht reiten will) habe ich meinen Körper in eine leicht gedrehte Position gebracht und darauf geachtet, dass ich selbst nicht auf die innere Schulter falle. Und siehe da, das Pferd geht gebogen um die Ecke und spiegelt meine Körperhaltung.
  • Im Trab biete ich der PN jetzt einen Kontakt am Zügel an und halte ihn stabil aufrecht, ohne darüber hinaus einzuwirken. Meine Idee: Ihm einen Vorschlag für eine andere Kopfposition und einen Kontakt zwischen Maul und Hand zu machen und zu schauen, wie er reagiert. Und siehe da: Er experimentiert mit verschiedenen Kopfpositionen und findet eine passende und damit auch mehr Ruhe im Maul.

Meine Aha-Momente: Ein Plan ist gut und richtig. Aber etwas einfach geschehen zu lassen statt es aktiv herbei führen, ist auch nice. Und so reite ich aktuell nicht mehr mit Anweisungen oder Ansagen, sondern nur noch mit Hilfestellungen.

„Make the wrong thing hard and the right thing easy“ oder „easy“ ist nicht genug

„Make the wrong thing hard and the right thing easy“ besagt, dem Pferd das falsche Verhalten zu erschweren und das richtige, erwünschte Verhalten leicht zu machen. Für die PN reicht das nicht. Er braucht mehr als nur den Hinweis „das hier sollst du machen, das hier sollst du besser lassen“. Auch dahinter verbirgt sich wieder sein Bedürfnis nach Verbindung, konkreter Rückmeldung und dem Wunsch, etwas gemeinsam zu tun, statt nur Anordnungen auszuführen.

Beim Reiten beispielsweise zog er anfangs immer stark zum Tor. Dahinter ist Gras, außerdem fehlt uns die Routine. Reiten ist nach wie vor ungewohnt und deswegen aus seiner Sicht mit Vorsicht zu betrachten. 

Ein gute Strategie für den Tor-Magnetismus liegt darin, die Dinge, die man eh trainieren will, eben am Tor oder dort zu reiten und zu üben, wo das Pferd gern sein möchte. Pause gibt’s dann abseits des Lieblingsorts des Pferdes, in der Nähe der Gruselecken oder dort, wo es sich sonst nicht so gern aufhält. Das schafft einen mentalen Ausgleich im Pferd und gibt ihm die Gelegenheit, nach neuen Lösungen zu suchen und die Gruselecken als netten, bequemen Ort kennenzulernen.

Im Falle der PN reichte es aber nicht aus, den Bereich am Tor durch Arbeit etwas unbequemer und den Bereich abseits des Tors attraktiver zu machen. Vielmehr musste ich die hinteren Ecken für ihn sicherer machen. Und da half uns erneut eine starke Rückmeldung in Form von Feiern durch Stimme, Streicheln und am Anfang sogar Absteigen und die Reiteinheit beenden. Noch mehr Anreiz, in die unbeliebten Ecken zu gehen, schuf Gras: Ich habe ihn dort immer mal wieder Gras von den Reitplatzrändern fressen lassen. Die Strategie hat ihm schon beim Longieren geholfen, eine schöne Haltung zu finden und zu halten

Guter Pferdemensch, Pferd mit Mensch, Longieren, Trab
Die Laufmanier an der Longe wird immer besser. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Horsemanship oder Tricks

Als Horsemanship-Frau finde ich Tricks in erster Linie albern. Und irgendwie auch unwürdig. Ich will mein Pferd nicht zu einem Roboter degradieren, der auf Knopfdruck/Signal ein Verhalten abspult. Dass das nicht so sein muss, schreibt Ross Jacobs hier:

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2415637801870008&id=275719312528545&__tn__=K-R

Die PN hat mir gezeigt, dass ich Tricks auch einsetzen kann, um ein Gespräch zu führen und eine Kommunikation zu entwickeln. Es geht dann weniger um das Ergebnis, sondern vielmehr um den Prozess. 

Der Herr ist etwas oral fixiert und liebt es, Dinge mit seinem Maul zu erkunden. Bei der Hufpflege saß ich vor ihm auf dem Boden und er fing an, in meinen Hut zu beißen. Daraus haben wir ein Hut-vom-Kopf-ziehen entwickelt. Ups. 

Tanja, Miri und Petra aus dem Pfernetzt-Team, die dem Clickern und dem Training mit positiver Verstärkung deutlich näher stehen als ich, haben mir dann jede Menge nützlicher Tipps gegeben. Die nächste Idee ist, dem Herrn das Apportieren beizubringen.

Guter Pferdemensch, Pferd mit Mensch, Verbindung
Der Hut war schon immer von größerem Interesse. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Videos – die PN lernt den Hut-Trick

In diesem Video geht es darum, dass die PN den Hut anhebt.

Im zweiten Video geht es darum, dass er ihn länger im Maul behält.

Ihr seht in den Videos, dass mein Timing wirklich schlecht ist. Ich habe wenig Klarheit darüber, wann ich das Signalwort „brav“ am besten sage, weil ich noch nicht sicher war, was ich eigentlich belohnen will: Das Anheben des Huts oder das Loslassen? 

Im zweiten Video vergesse ich sogar, das Wort überhaupt zu sagen. Aber trotzdem (oder gerade deswegen?) findet eine super witzige Kommunikation statt und die PN ist voll dabei. Im zweiten Video finde ich total witzig zu sehen, wie er experimentiert, indem er den Hut mit dem Kopf herum schleudert oder nur mit dem Maul bearbeitet.

Wenn ihr es richtig lernen wollt, schaut euch den Clicker-Kurs der Pferdeflüsterei*an.

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Hier geht es um Mindset und Werte eines guten Pferdemenschen.

Hier ein interessanter Beitrag zum Thema Hilfen und ihrer Bedeutung – nämlich helfen.

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