Freiarbeit – so klappt sie

Pat Parelli sagt: „Wenn man das Seil abnimmt, bleibt nur eines: Die Wahrheit“. Ich finde, dass diese Aussage nur einen Teil der Wahrheit enthält – immerhin konditioniere ich das Pferd in der Vorbereitung am Seil darauf, dass es ohne Seil bei mir bleibt. Wenn ich ihm zusätzlich das Weglaufen madig mache, dann bedeutet ein Pferd, das mir auch ohne Seil folgt, nicht unbedingt, dass wir beide eine total tolle Beziehung haben. Sondern in erster Linie, dass es weiß, bei mir ist es bequemer als anderswo und es deswegen meine Gegenwart dem Wegrennen vorzieht.
Freiarbeit, Pferdeverstehen

Linke Hand Galopp fällt uns deutlich leichter als rechte Hand. Foto: Verena

Nichtdestoweniger ist Freiarbeit eine schöne Sache. Nicht nur, weil sie Abwechslung bringt. Freiarbeit ist auch ein sehr guter Prüfstein für unsere Körpersprache und die Hilfen. Sie zeigt uns außerdem sehr präzise, in welchen Situationen wir das Seil noch brauchen, um das Pferd bei uns zu halten – nämlich dann, wenn uns das Pferd bei Missverständnissen verlässt. Letztlich basiert die Freiarbeit auf der Dynamik, das Pferd wegschicken und es wieder anziehen zu können – und zwar mit unserer Körpersprache. Das ist deswegen so wichtig, weil ich die Aufmerksamkeit des Pferdes, habe ich Kontrolle über seine Bewegungen, immer wieder zu mir zurückholen kann. Sollte es sich ablenken lassen, kann ich es leicht wieder auf mich fokussieren, indem ich seinen Körper bewege und auf mich ausrichte. Da Pferd und Mensch hier erstmal zu einer gemeinsamen Kommunikation finden müssen, würde ich Freiarbeit nicht als Einstieg in die Arbeit mit dem Pferd wählen (außer, man arbeitet im Roundpen. Aber das gehört für mich nicht zur Freiarbeit). Ohne Seil lassen sich Missverständnisse nicht so leicht korrigieren, und das erschwert das Zusammenspiel von Mensch und Pferd.

Die Voraussetzungen für gelingende Freiarbeit ist eine solide Ausbildung am Boden

  • Mein Pferd reagiert schon auf das erste, feine Signal und nicht erst auf die Verstärkung. Und zwar zuverlässig (über Phasen und ihre Bedeutung habe ich hier schon geschrieben).
  • Unser Grad an Präzision ist hoch: Wenn ich also drei Schritte verlange, bekomme ich drei Schritte – nicht einen oder sechs. Wenn ich aufrecht und bestimmt nach vorne gehe, weicht mir das Pferd.
  • Wenn ich meinen Bauchnabel gen Wirbelsäule ziehe und rückwärts gehe, ziehe ich das Pferd zu mir. Ich kann die Hinterhand des Pferdes mit Blick und Ausrichtung meines Körpers verschieben.
  • Ich kann die Vorhand meines Pferdes bewegen, indem ich nach links und rechts zeige (dafür stehe ich vor dem Pferd).
  • Ich kann die Vorhand des Pferdes verschieben, indem ich an seiner Schulter stehe und das Pferd von mir seitlich weicht.
  • Egal, ob ich die Vorhand oder die Hinterhand bewege: Das Pferd reagiert mit dem angesprochenen Körperteil und nutzt nicht die Gelegenheit, um zu gehen

Was mache ich eigentlich während der Freiarbeit?

  • Möglich ist alles, was man am Seil auch macht Seitengänge wie Schulter- oder Kruppeherein oder Schenkelweichen
  • Arbeit auf dem Zirkel, wobei das eine schöne Herausforderung sein kann, weil kein Seil mehr das Pferd auf dem Bogen führt, sondern unsere Körperhaltung und unsere eigene Anziehungskraft
  • Präzision testen wir bei der Arbeit mit Stangen, also zum Beispiel Seitengänge dahinter oder darüber, rückwärts einparken oder rückwärts durchs Stangen-L
  • Die Verbindung und den Willen des Pferdes zu folgen erfährt man in höheren Gangarten: Ich lasse das Pferd dann neben mir galoppieren und schaue, ob ich auch die Richtung bestimmen kann: Ich wende auf einen Kreis ab und das Pferd folgt meiner Schulter, auch wenn es anstrengend wird.
Freiarbeit, Pferdeverstehen

Freiarbeit zu dritt: Ein großer, unkoordinierter Spaß. Jodhpur-Reithosen gibt’s hier.*Foto: Marko

Häufige Fehler bei der Freiarbeit

  • Meine Kontrolle über die Vor- und Hinterhand des Pferdes ist unterschiedlich gut oder mein Wegschicken klappt besser als mein Hereinziehen. Dieses Ungleichgewicht wird dazu führen, dass mir das Pferd früher oder später davonläuft: Weil mir dann ein Teil der Werkzeuge fehlt, die ich bräuchte, um es bei mir zu halten.
  • Zu früh zu hohes Tempo. Was im Schritt klappt, kann im Trab klappen, muss es aber nicht. Die Wahrscheinlichkeit steigt dagegen, wenn die Übung im Schritt wirklich präzise läuft und gut vorbereitet ist. Was im Schritt schon nur halb funktioniert, wird es im Trab garantiert nicht mehr.
  • Wenn ich das Pferd zu mir holen will, dann sollte ich mich nicht nur darauf verlassen, dass ich seinen Hintern heraustreiben kann. Das heißt nämlich in erster Linie „Halte sofort“ und nicht „Komm bitte her“. Stattdessen sollte ich am Hereinziehen der Vorhand arbeiten. Siehe der erste Punkt dieser Fehlerliste.
  • Die Vorhand zieht sich leichter, wenn ich in einem Bogen rückwärts gehe, statt gerade.
  • Ich blockiere mein Pferd mit meinem Körper (das passiert gern, wenn man versucht, das Pferd hereinzuziehen, ihm dabei aber unbeabsichtigt im Weg herumsteht). Ich muss dem Pferd hier genug Raum geben, den es einnehmen kann.
Was mir ganz allgemein bei der Freiarbeit gerade mit dem Projektwallach auffällt: Ich kann seinen Körper leichter formen, weil Freiarbeit mehr mentale Bereitschaft und den Willen zur Mitarbeit erfordert als die Arbeit am Seil. Am Seil kann ich das Pferd stärker unter Druck setzen – er wird dann gehorchen, auch wenn es nicht wirklich will, und das sieht man an seinem Körper und den Bewegungen, die dann tendenziell fester werden, weniger Geschmeidigkeit und keine Aufrichtung besitzen. In der Freiarbeit erhalte ich diese Art von Aufrichtung, die ich unterm Sattel nicht bekomme, relativ leicht. Dann tritt er weit mit den Hinterbeinen vor, wölbt den Hals und schwingt im Rücken. Entsprechend arbeite ich mit Phasen, wo wir versuchen, diese, ich nenne sie mal, energetische Spannung aufzubauen, aber dann fahren wir auch wieder runter und entspannen. Ich kann in der Freiarbeit auch Lektionen abrufen, die wir unter dem Sattel nicht wirklich beherrschen. Wenn der Wallach also an meiner Schulter galoppiert, und ich beginne mich abzuwenden und einen kleinen Kreis zu gehen, dann arbeiten wir schon in Richtung Galopppirouette.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich die Freiarbeit nutze,

  • um Lektionen zu überprüfen – auch unter dem Blickwinkel wie willig und bereit das Pferd ist.
  • um Lektionen zu entwickeln, die wir am Seil oder unter dem Sattel noch nicht beherrschen.

Was sind eure Erfahrungen mit Freiarbeit?

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4 Kommentare

  1. Das klingt alles so toll und einfach. Irgendwann, ja irgendwann werden wir es auch testen. Aktuell in der Pflegelphase sehe ich da recht wenig Sinn. Da ist es schon schwer am Strick alles abzurufen…

    • Hallo Carina, ich würde auch Dinge erst am Strick etablieren, weil du damit einfach einen größeren Einfluss aufs Pferd hast. Wobei ich vor kurzem auch andersherum gearbeitet habe: Ein Pferd, sehr, sehr ängstlich, hat sich das erste Mal losgerissen, weil ich es mit meiner Anforderung etwas Abstand zu halten bzw. den Hintern zu bewegen nicht klar kam. Es hat das wiederholt, und war beim dritten Mal soweit, dass es das Losreißen nicht mehr nur nutzte, weil ich es verwirrt hatte, sondern als Standardantwort, um sich Dingen nicht stellen zu müssen. Ich habe es dann frei im Roundpen gearbeitet und mich (und die Mitte) als Lösung angeboten. Innerhalb von Minuten blieb das Tier bei mir und folgte mir – und zwar ohne Strick. Es geht also auch andersrum 🙂 VG! Nadja

  2. Ich habe eine 8 jährige Shagya-Araber Stute. Irgendwann an einem verregneten Nachmittag war ich mit ihr in der Halle und habe einfach mal probiert was ich mit ihr so machen kann (sie ist sehr anhänglich) und bin mit ihr (völlig frei) getrabt, bin aprupt stehen geblieben, sie auch, habe mich vor ihr gedreht, ihr mit dem Finger die Richtung gewiesen und sie hat es verstanden und mitgemacht., Ich konnte sie rückwärtsschicken ein paar Schritte und wieder ranholen. Sie ist neben mir angaloppiert, als ich mein eines Knie wie zum angaloppieren hochgezogen habe. Ich habe das einfach so aus dem Bauch raus gemacht, aus dem Gefühl und es funktioniert. Ich fand ihr Verständnis sehr bemerkenswert. Inzwischen übe ich ganz bewusst immer mal etwas Neues und ganz oft funktioniert es recht gut. Was ich mit meinem Beitrag ausdrücken will ist, dass ich keinerlei Vorbildung zu diesem Thema habe und trotzdem versteht sie mich auf eine ganz natürliche Art und Weise.. Pferde sind Fabelwesen <3

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