Kontakt, Beziehung, Lob, Pause: All das gehört zum Horsemanship. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Jetzt schreibe ich hier seit über zehn Jahren zum Thema „Horsemanship“, habe aber noch nie genau formuliert, was ich damit eigentlich meine. Deswegen ist dieser Beitrag ein Rundumschlag übers Horsemanship – von seiner Bedeutung, seiner Funktionsweise, den Gründen, warum man Horsemanship macht, was Bodenarbeit und Reiten mit Horsemanship zu tun hat, welche Übungen es gibt, welche Ausrüstung man nutzt und wo die Kritik liegen kann.
Was bedeutet „Horsemanship“ – rein grammatikalisch?
Es gibt diese Versuche der Wortherleitung, in denen allen Ernstes Horsemanship zu „horse – human – ship“ aufgeteilt wird und dann fabuliert wird, dass Pferd und Mensch gemeinsam in einem Schiff unterwegs sind. Ok. Die Arche Noah vielleicht?
Rein grammatikalisch ist -ship einfach ein englisches Suffix, eine Nachsilbe, die ein Wort entweder in ein Substantiv verwandelt oder ihm eine dieser drei Bedeutungen verleiht.
- Ein Zustand oder eine Bedingung: friend-ship (Freundschaft)- der Zustand, ein Freund zu sein
- Stellung, Status oder Aufgaben: professor-ship (Professur) – die Position des Professors
- Fähigkeiten: horseman-ship – die Fähigkeiten als Horseman
Und damit hätten wir unsere grammatikalische Herleitung: Horsemanship benennt die Fähigkeiten, die jemand im Umgang mit Pferden hat.
Was bedeutet Horsemanship in echt?
Abseits der Grammatik kennen viele Horsemanship wahrscheinlich in Verbindung mit dem Westernreiten. Weil es so cowboymäßig rüberkommt und da liegt der Gedanke ans Westernreiten nah.
Andere verbinden mit Horsemanship in erster Linie Bodenarbeit – also die Arbeit mit Knotenhalfter und Leadrope.
Fragt man überzeugte Horsemanshipler zur Bedeutung von Horsemanship, kommt man dem Kern der Sache näher. Für sie bedeutet Horsemanship:
- „die Bedürfnisse des Pferdes in den Vordergrund stellen“
- „einen feinen Umgang mit dem Pferd“
- „eine innere Einstellung“
- „eine harmonische Partnerschaft“, eine „positive Pferde-Mensch-Beziehung“
- „pferdegerechtes Training“
- „Kommunikation zwischen Mensch und Pferd“
Für mich steckt in Horsemanship „relationship“ – also der Fokus auf der Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
Und was ist mit Natural Horsemanship?
Natural Horsemanship ist ein Begriff, den Pat Parelli geprägt hat und der mit seinem System des Pferdetrainings einhergeht. Viele eingefleischte Horsemen aus den USA lehnen ihn ab, da ihrer Meinung nach nichts natürlich ist an unserem Wunsch, ein Pferd zu reiten oder mit ihm zu arbeiten. Ich persönlich halte es auch lieber mit Horsemanship.
Wie funktioniert Horsemanship – die Grundlagen?
Horsemanship orientiert sich am Wesen der Pferde und ihrer Kommunikation untereinander: Anders als bei uns Menschen ist die nicht in erster Linie verbal, sondern findet über Körpersprache und vor allem über das Einnehmen und Freigeben von Raum statt. Das ranghöhere Pferd ist stets in der Lage, ein rangniedrigeres wegzuschicken, etwa um den Platz an der Heuraufe einzunehmen oder einfach, wenn es im Weg steht.
Die Perspektive des Pferdes einnehmen – auch das ist Teil von Horsemanship. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Das Pferd weichen lassen – und als ranghöher wahrgenommen werden
Pferde verstehen das Prinzip auf Druck hin zu weichen: auf Energie genauso wie auf direkte Berührungen, etwa, wenn das ranghöhere Pferd auf ein rangniedrigeres zukommt (Energie) oder es wegbeißt (Berührung). Das machen wir uns als Menschen zu nutze und bringen ihm bei, sich im Umgang mit uns bewegen zu lassen – so dass wir die ranghöhere Position einnehmen können. Natürlich gehört dazu mehr, als bloß die Füße des Pferdes bewegen zu können; ein guter Chef hat Führungsqualitäten. Auch das ist ein Prinzip guten Horsemanships: Nicht einfach ein Tyrann zu sein und sein Pferd in den Gehorsam zu gängeln. Sondern als guter Chef auch seine Bedürfnisse zu berücksichtigen und die eigenen, wenn angezeigt, auch mal hintenanzustellen. Gutes Horsemanship ist also stets ein Geben und ein Nehmen – nur deswegen funktioniert es.
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Die Perspektive des Pferdes einnehmen
Ein weiteres Element im Horsemanship: Man versetzt sich ins Pferd hinein, nimmt dessen Perspektive ein und versucht, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Das hilft dabei, das Verhalten des Pferdes nicht als persönlichen Angriff, als gut oder schlecht zu sehen, sondern als neutralen Ausdruck eines Bedürfnisses in diesem Moment: Wiehert ein Pferd und will es zurück zu seiner Herde, der Mensch aber eigentlich spazieren gehen, heißt das nicht, dass es den Menschen ärgern will – sondern dass es seine Sicherheit in Gefahr sieht und sich mit der Herde wohler fühlt. Diese Einschätzung hilft uns, nicht mit Wut oder harten Korrekturen zu reagieren, sondern dem Pferd mit Empathie zu begegnen und ihm helfen zu können, sich besser zu fühlen.
Kommunikation durch Bodenarbeit aufbauen
Zentral im Horsemanship ist die Kommunikation mit dem Pferd: Die wird durch Bodenarbeit etabliert. Hier lernt das Pferd, auf Druck zu weichen und auf Aufforderung zu kommen. Es lernt, unseren persönlichen Bereich zu respektieren, uns nicht über den Haufen zu rennen oder den Menschen hinter sich herzuziehen. Wir erklären dem Pferd, was wir von ihm erwarten. Setzen Grenzen und lassen Freiraum. Hilfen werden in Phasen gegeben – wir starten stets mit einer feinen, freundlichen Aufforderung, so dass das Pferd eine Chance hat, bereits auf wenig zu reagieren.
Den Geist des Pferdes einbeziehen
Der Geist formt den Körper: Gutes Horsemanship doktert nicht am Körper des Pferdes herum, sondern bezieht auch den Kopf, das Mentale ein. Denkt das Pferd aktiv mit und ist engagiert, resultiert daraus die Verbesserung von Bewegungsqualität, Lektionen und Manövern – was wohl jede Reitlehre anstrebt. Ein Pferd, das nur auf ein „Halt“-Kommando reagiert, unterbricht seine Gangart und kommt irgendwie zum Stehen – oft steht es dann offen, also die Beine nicht parallel, sondern in Schrittstellung. Ist das Pferd dagegen mental dabei und „denkt“ es Stopp!, dann resultiert daraus in der Regel ein geschlossenes Halten mit parallelen Beinpaaren und gleichmäßig verteiltem Gewicht. Die PN gibt mir auch Innenstellung auf dem Zirkel am Seil oder im Freilauf automatisch, wenn er zu mir nach innen denkt und aufmerksam ist. Ich muss mir die Stellung dann nicht durch zuppeln oder biegen erarbeiten, ich bekomme sie geschenkt.
Pferdepsychologie anwenden
Wichtig ist, dass das Pferd versteht, dass es für eine Aufgabe stets eine Lösung finden kann – das erhält die Motivation und es sorgt für Entspannung, weil das Pferd Klarheit gewinnt. Dazu gehört auch, dass das Pferd Fehler machen darf und wir nicht versuchen, sie unbedingt zu verhindern. Denn nur aus Fehlern kann das Pferd lernen: Wir kommunizieren klar und deutlich, wenn es etwas richtig gemacht hat, indem wir die Hilfen einstellen und Pause machen (wogegen ein typisch menschlicher Impuls ist, erst recht weiterzumachen, weil es doch gerade so gut geklappt hat).
Eigenverantwortung übernehmen
Ein Pferd macht Fehler, ein Mensch auch. Während ich nichts vom Satz „Das Pferd hat immer Recht“ halte, ist es auch falsch anzunehmen, der Mensch mache immer alles richtig. Zum guten Horsemanship gehören deswegen auch die Selbstreflexion und Selbstbeherrschung. Es ist unsere Aufgabe, unsere Energie zu managen, unsere Gedanken und Erwartungen, und die Lektionen und Übungen so aufzubauen, dass das Pferd sie erfolgreich umsetzen kann.
Warum Horsemanship?
Egal, ob zwischenmenschlich oder zwischen Mensch und Pferd: Eine gute Beziehung setzt eine gelingende Kommunikation voraus. Und die erschafft man mit Horsemanship. Gesunder Menschenverstand reicht für die Arbeit mit dem Pferd nicht aus, denn oft ist das, was das Pferd benötigt, gegenläufig zu dem, was man instinktiv aus menschlicher Sicht zur Problemlösung tun würde: Geht das Pferd durch, zieht man an beiden Zügeln, um es zu bremsen. Das kann Klaustrophobie im Pferd erzeugen, das sich dann erst recht gegen das Gebiss stemmt und schneller wird. Hier wäre eher sinnvoll (abhängig vom Boden, der Geschwindigkeit usw.) nur einen Zügel zu nutzen und das Pferd über die Biegung des Halses auf einen Kreis zu lenken mit dem Ziel, die Hinterbeine übertreten zu lassen und es damit durchzuparieren.
Ein Pferd, das vom Boden ausgebildet wurde, versteht die Hilfen des Reiters leichter. Horsemanship erschafft damit Harmonie im Sattel. Foto: Isabel Tomczyk Photography
🍃Horsemanship ist die Grundlage einer guten Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Es hilft uns, Pferde und ihr Verhalten besser zu verstehen, sie lesen zu lernen und ein Gespür für das zu entwickeln, was sie gerade brauchen.
🍃Gutes Horsemanship gibt dem Pferd Sicherheit, weil sich der Mensch als verlässlicher Partner gezeigt hat, dem es vertrauen kann und dem es Problemlösungskompetenz zutraut – auch in seinem Sinne. Damit kann es den Umgang mit dem Pferd sicherer machen und Verhaltensproblemen vorbeugen – oder sie lösen.
🍃Besteht zwischen Pferd und Mensch ein Band des Vertrauens, können Leichtigkeit und Mühelosigkeit im Alltag entstehen. Man versteht sich, jeder kennt seinen Part, seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
🍃Horsemanship und die klare Kommunikation, die daraus resultiert, ist auch die optimale Basis, um sich mit dem Pferd weiterzuentwickeln: egal, ob Seitengänge in der Handarbeit, Freiarbeit oder feines Reiten – hat das Pferd das Prinzip der Hilfen verstanden, die ihm im Horsemanship einzeln und damit verständlich erklärt werden, kann man diese neu kombinieren und damit die verschiedensten Lektionen abrufen. Beim Kruppeherein weicht das Pferd zum Beispiel auf meinen äußeren Schenkel mit der Hinterhand und folgt meinem inneren Zügel im Vorwärts.
🍃Ein guter Horseman hat sich verschiedenste Fähigkeiten angeeignet: Geduld, Empathie, Beobachtungsvermögen, Aufmerksamkeit, Ruhe, Beherrschung, Klarheit, Fairness – die Liste lässt sich beliebig erweitern. All diese Eigenschaften stehen uns auch im Leben abseits von Pferden gut. Deswegen kann uns Horsemanship zu besseren Menschen machen.
Horsemanship in der Praxis: Bodenarbeit
Oft wird unter Horsemanship Bodenarbeit verstanden, Groundwork auf Englisch. Damit etablieren wir die Kommunikation mit dem Pferd und bereiten es aufs Reiten vor. Hier starten auch Anfänger, die die Grundlagen von Horsemanship lernen wollen. Wichtig ist dabei: Gute Bodenarbeit ist kein Selbstzweck, sondern lässt sich auf das Reiten übertragen: Genauso wenig wie ich will, dass mein Pferd am Seil mit der Schulter nach innen fällt und damit schiebt, will ich das beim Reiten. Oder: Hat ein Pferd verstanden, dass es dem Seil folgen kann und dass es nachgiebig sein soll, muss ich Zügelhilfen kaum noch erklären, da es den Übertrag schafft.
Die Übungen bei der Bodenarbeit, das heißt dem Horsemanship-Training, brauchen als Ausrüstung ein Knotenhalfter und Leadrope. Sie sind die Arbeitsmittel, die es Pferd und Mensch am einfachsten machen.
Im Horsemanship-Training lernt das Pferd unserem Körper und dem Gefühl des Seils zu folgen: Hier demonstriert es die PN. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Das Pferd soll beim Bodenarbeits-Training zunächst drei Prinzipien verstehen, auf denen alles andere aufbaut:
- Das Weichen auf Druck. Das Pferd lässt sich von uns sowohl durch eine direkte Berührung verschieben (etwa, wenn es sich auf dem Putzplatz herumdrehen soll), als auch durch Energie. Beide Hilfen sollten austauschbar verwendet werden können. Eine gute Bodenarbeit-Übung für Anfänger (Pferd und Mensch) ist das Kreuzen der Hinterbeine bzw. das Weichenlassen der Hinterhand.
- Desensibilisieren. Dabei werden gruselige Gegenstände entgruselt. Das Pferd lernt zum Beispiel, dass es vor einer Flagge oder einem geworfenen Seil nicht weglaufen muss. Im übertragenen Sinn versteht es, dass es auf ein Mehr an Energie nicht automatisch ebenfalls mit mehr Energie reagieren muss, sondern manche Reize auch einfach ignorieren kann. Der Unterschied liegt in unseren Hilfen und in unserer Absicht bzw. Intention. Das Pferd lernt, uns zu lesen, um zu verstehen, ob es weichen und reagieren soll oder ob es einfach entspannen kann.
- Dem Gefühl des Seils folgen. Mir ist es wichtig, dass das Pferd das Seil nicht als bloßen Zug kennenlernt, sondern als Gefühl und Richtung, dem es folgen kann. So entsteht Leichtigkeit und das Pferd denkt in die Richtung, in die wir es bewegen. Das ist für korrekte Bewegungsabläufe wichtig.
Das Ziel ist stets, dass das Pferd unseren Anforderungen willig Folge leisten kann. Dass es sich im Fluss bewegt, dass es unsere Hilfen verstanden hat, dass es nachgiebig reagiert. Das Pferd soll also nicht stumpf Tricks oder Bewegungen auf Knopfdruck ausführen, sondern anpassbar bleiben. Hier habe ich über den Unterschied von Reaction und Response geschrieben, ein Prinzip, das für das Verständnis wichtig ist.
Kruppeherein in der Handarbeit – vorbereitet durch Bodenarbeit und Horsemanship. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Sitzen diese Horsemanship-Grundlagen, die alle im Training erarbeitet werden, sind der Fantasie bei der Bodenarbeit keine Grenzen mehr gesetzt:
- Man kann das Pferd auf dem Zirkel gehen lassen, elegante Richtungswechsel ab- und alle Gangarten anfragen
- Man kann das Pferd rückwärts gehen lassen – gerade, durch Stangen oder sogar im Kreis
- Man kann ihm seitwärts gehen (auch über Stangen) beibringen
- Man kann für mehr Abwechslung 8er und Kleeblatt um Hütchen gehen
- Man kann mit Freiarbeit beginnen
- Man kann reale Seitengänge wie Schulter- und Kruppeherein und Traversalen lehren
Longieren ist kein Kernbestandteil von Horsemanship, lässt sich mit der damit entstandenen Kommunikation aber leicht schulen. Die Voraussetzung: keine Hilfszügel! Warum, beschreibe ich hier.
Horsemanship in der Praxis: Reiten
Horsemanship und Reiten erzeugt vielleicht Bilder vom Reiten mit Halsring, mit zwei Bodenarbeitssticks in den Händen statt Zügeln (dafür wurde Pat Parelli berühmt) oder wieder eine Idee vom Westernreiten.
Ich habe Reiten nach Horsemanship-Prinzipien so kennengelernt:
🐎 Wir starten gebisslos am Knotenhalfter mit dem Leadrope als Zügel. Richtig gelesen: Wir haben nur das Rope und es wird nicht am Halfter zusammengebunden, sprich, wir arbeiten nur mit einem Zügel. Ein Horsemanship-Konzept ist: Ein Zügel für Kontrolle, zwei für Kommunikation. Das verhindert, dass wir am Anfang zwei Zügel zum Bremsen nutzen und das Pferd auf eine Hilfe abstumpfen, die wir später für Versammlung brauchen.
🐎 Das Pferd lernt, auf einen Zügel den Hals zu biegen (laterale Flexion) und so sein Vorwärts kontrollieren zu lassen. Da es bereits vom Boden vorbereitet ist, fällt der Übertrag in den Sattel in der Regel nicht schwer.
Horsemanship beim Reiten: Die PN weiß, dass er auf beidseitig angenommene Zügel mit einem Nachgeben im Genick reagieren soll. Foto: Isabel Tomczyk Photography
🐎 Am Anfang der Ausbildung werden alle Gangarten am langen Zügel geritten – Vorwärts ist das A und O. Kopfhaltung und Form spielen keine Rolle. Dauertreiben findet nicht statt, wenn das Pferd vorwärts geht, sind wir neutral und gehen in der Bewegung mit, ohne aktiv zu treiben.
🐎 Jetzt erklären wir dem Pferd die Bedeutung des Schenkels, so dass es auf eine Schenkelhilfe hinterm Gurt die Hinterbeine übertreten kann. Eine Übung bzw. Lektion, die früh geritten wird: Wir lassen zunächst die Hinterbeine übertreten und schließen daran im Fluss ein Übertreten der Vorhand an, so dass das Pferd eine 180 bis 360 Grad Drehung macht. Wie bei der Bodenarbeit erlaubt uns diese Übung die getrennte Kontrolle über Vor- und Hinterhand.
🐎 Dann erklären wir die Bedeutung der Zügel: Der innere führt das Pferd nach innen, der äußere spricht zur Schulter und führt die Schulter nach außen. Nehmen wir beide Zügel an, soll das Pferd mit dem Genick nachgeben und den Kopf in eine vertikale Position an die Senkrechte nehmen. Halten wir den Kontakt und geben die Zügel nicht wieder vor, soll es rückwärts gehen.
🐎 Die Kombination von Schenkel und Zügel – also das Stehenlassen der Zügel und das Treiben der Schenkel – für Verkürzung und Versammlung kommt erst, wenn das Pferd die Hilfen einzeln verstanden hat.
🐎 Wie bei der Bodenarbeit gilt hier auch: Das Pferd wird mit Pausen – und sogar Absteigen des Reiters – belohnt.
🐎 Hinzu kommen strategische Überlegungen, etwa, Magneten entgegenzuwirken, wenn das Pferd zum Beispiel in Richtung Tor zieht und gern schneller wird oder wenn das Pferd eine Lektion vorausnehmen will. Warwick Schiller hat eine Video-Reihe, die Principles of Training (Englisch), aufgenommen, in denen er diese verschiedenen Strategien ausführlich erläutert.
Beispiele für gutes Horsemanship
Gutes Horsemanship ist unspektakulär, im Fluss und im Austausch.
Wir machen es uns leichter, wenn wir uns von Anfang an gute Horsemanship-Gewohnheiten antrainieren: Wenn ich sinnvolle Abläufe in meinen Alltag mit dem Pferd integriere, werden sie zur Gewohnheit und ich muss nicht mehr bewusst darüber nachdenken. Diese guten Gewohnheiten zeugen von der Kooperation und vom Verständnis des Pferdes und der Rücksichtnahme des Reiters. Beispiele dafür sind:
- Führen am losen Seil: Das Pferd reagiert beim Führen auf die Richtung des Menschen und passt sich an dessen Tempo an, ich brauche keinen Zug, um das Pferd zu kontrollieren.
- Das Pferd kann unangebunden stehen bleiben.
- Das Pferd kann freistehend gesattelt werden.
- Der Westernsattel wird aus der Hüfte auf den Pferderücken geschwungen und nicht einfach fallen gelassen.
- Das Pferd hilft beim Aufhalftern oder Anziehen des Kopfstücks mit, indem es den Kopf senkt und dreht bzw. selbst hinein schlüpft.
- Das Pferd tritt zum Aufsteigeblock herüber, damit der Reiter leichter aufsitzen kann.
- Der Reiter kann am losen Zügel aufsteigen, ohne dass das Pferd sofort losläuft.
- Der Reiter kann das Pferd in allen Gangarten am losen Zügel reiten – es hat sich selbst dafür gut genug unter Kontrolle.
Sattel und Gurten – pferdefreundliche, weil rücksichtsvolle Handgriffe formen gute Horsemanship-Gewohnheiten. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Horsemanshit: Kritik am Horsemanship
Horsemanship steht immer mal wieder in der Kritik – meist als harte Trainingsmethode, die Zwang und Dominanz nutzt. Folgende Argumente werden dabei gern zu Felde geführt.
Horsemanship macht Pferde mit Druck gefügig!
Die Hilfen in Phasen zu verstärken, bis die gewünschte Reaktion kommt, wird als Ausübung von Zwang interpretiert. Nun ist die Eskalation der Hilfen- also mit wenig einzusteigen und bei Bedarf die Hilfe zu verstärken – nicht auf das Horsemanship beschränkt, sondern wird in der Dressur oder dem Westernreiten ebenso angewandt. Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Es gilt aber: Egal, welches Prinzip ich anwende oder nach welchem Konzept ich trainiere: Im Übermaß und falsch angewendet, kann ich alles entstellen und bis zum Missbrauch treiben. Es bleibt also in der Verantwortung des Menschen, die Hilfen mit Sinn und Verstand, mit Augenmaß und fair anzuwenden. Das gilt immer und überall – auch abseits des Horsemanships.
Das Knotenhalfter ist gefährlich!
Das Knotenhalfter wird durchaus als scharfes Folterwerkzeug dargestellt, das auf Nervenbahnen drückt, ins Fell schneidet und Akupunkturmeridiane stört. Richtig ist, dass das Knotenhalfter durch die Seile statt den breiten, gewebten Bändern eines Stallhalfters in der Tat mehr Druck am Pferdekopf entstehen lässt. Das ist aber gewünscht, denn das Knotenhalfter ist ein Arbeitshalfter und es geht um Effizienz. Hier beschreibe ich, warum das Knotenhalfter im Horsemanship das Mittel der Wahl ist. Das Knotenhalfter kann also nicht wie ein Stallhalfter eingesetzt werden, dafür ist es nicht gemacht. Es gibt in der Handhabung auch ein paar No-Gos wie das Führen mit Dauerzug oder das feste Anbinden (das Rope um eine Anbindestange wickeln ist ok). Wie wir es am Ende einsetzen, liegt allein in unserer Hand.
Horsemanship baut auf die veraltete Dominanztheorie auf!
Manche Pferdeleute berufen sich auf die Wissenschaft und sagen, dass es in einer Pferdeherde keine klare Rangfolge gebe und es in Streitigkeiten stets nur im Ressourcen ginge – damit steht das Konzept hinterm Horsemanship auf tönernen Füßen. Nun ist es aber so: Pferde kennen Rangfolgen. Jeder, der Pferde untereinander einmal beobachtet hat, kann das nicht in Abrede stellen – ob es dabei um Ressourcen geht, ist zweitrangig. Das Pferd versteht es, sich einem anderen unterzuordnen oder ein anderes zu dominieren. Und genau dieser Ansatz wird im Horsemanship genutzt. Solange „die Wissenschaft“ keine guten Pferdemenschen hervorbringt, die auf Basis „neuster Studien“ Erfolge in Form von solide ausgebildeten Pferden nachweisen können, halte ich mich eher an die Pferdemenschen, die Tag ein Tag aus in der Praxis beweisen, dass sie wissen, wie der Hase bzw. das Pferd läuft. Ross Jacobs, Pferdetrainer aus Australien und im vorherigen Leben Doktor der Medizin, der lange in der Forschung tätig war, hält ebenfalls nicht viel von Verhaltenswissenschaften im Bereich der Pferde. Hier schreibt er, warum (auf Englisch).
Das Pferd kann den Menschen nicht als Leittier wahrnehmen!
Demnach kann der Mensch nicht in die Rolle des Leittiers schlüpfen, weil das Pferd weiß, dass er ein Mensch ist. Es stimmt, dass im Horsemanship der Mensch die Führung des Pferd-Mensch-Teams übernimmt. Er läuft deswegen aber nicht auf allen Vieren und er wiehert auch nicht. Er versucht nur, seine Kommunikation an die Pferdesprache anzulehnen – und ein guter, fairer Chef zu sein, wie es ein Leittier in der Herde auch wäre. Damit das funktioniert, muss das Pferd nicht denken, dass der Mensch ein Pferd ist.
Eine Kritik am Horsemanship ist, dass das Training dem Pferd Angst machen kann – wie hier PN und Regenschirm. Ich sage: Das Pferd lernt seine Angst zu überwinden – und gewinnt an Mut und Selbstvertrauen. Foto: Isabel Tomczyk Photography
Horsemanship treibt Pferde in die erlernte Hilflosigkeit!
Horsemanship soll das Pferd durch Reizüberflutung beim Desensibilisieren in die erlernte Hilflosigkeit bringen. Erlernte Hilflosigkeit ist nicht das Ziel von gutem Horsemanship, sondern eher das unerwünschte Ergebnis von schlechtem (genau wie beim Dressurreiten). Die Gefahr der Reizüberflutung besteht beim Desensibilisieren in der Tat – aber auch die Chance, dem Pferd dabei zu helfen, seine Angst zu überwinden. Jedes Ding hat eben zwei Seiten.
Horsemanship folgt nicht neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen!
Demnach ist Horsemanship total veraltet, weil es noch mit Druck arbeitet und nicht mit positiver Verstärkung. Nun sind Druck und seine Anwendung ein Dauerthema in Pferdekreisen. Zunächst mal muss man sich darüber klar sein, dass alles, was wir mit Pferden tun, die eine oder andere Form von Druck beinhaltet – schon unsere bloße Anwesenheit kann Druck sein, wenn sie eine Erwartungshaltung erzeugt oder wir einen gewissen Vibe mitbringen. Zu glauben, dem Pferd ohne irgendeine Form des Drucks begegnen zu können, ist deswegen illusorisch bis naiv. Und Druck an sich ist auch kein Problem. Pferde kennen Druck aus ihrem Alltag – auch ohne Menschen: Die Sonne, die am Himmel brennt, kann im Sommer genug „Druck“ erzeugen, dass sich ein Pferd einen Schattenplatz sucht. Horsemanship nutzt überwiegend die negative Verstärkung – ein Reiz wird erzeugt, Druck aufgebaut und wieder eingestellt, sobald das Pferd das gewünschte Verhalten zeigt. Dagegen steht das Prinzip der positiven Verstärkung, wo einem gewünschten Verhalten eine Belohnung folgt. In der Lerntheorie beschreiben beide Ansätze Herangehensweisen, „positiv“ und „negativ“ benennt das Hinzufügen (der Belohnung) und das Wegnehmen (des Reizes/Drucks). In meiner Wahrnehmung haben viele nicht verstanden, dass „positiv“ und „negativ“ keine Bewertung sind. Ich glaube auch, dass es ein Zeichen der aktuellen Zeit ist, dass Kommunikation (auch mit Tieren) möglichst kuschelig sein muss, um die Gefühle des Gegenübers nicht zu verletzen. Dabei bleibt aber Klarheit auf der Strecke – und Pferde brauchen Klarheit, um sich wohl und sicher zu fühlen.
Relationship vor Horsemanship!
Demnach soll vor dem Horsemanship eine Beziehung mit dem Pferd etabliert werden. Diese Kritik erscheint mir wenig sinnvoll, da hier nicht verstanden wurde, dass der Faktor Beziehung ein essenzieller Teil von gutem Horsemanship ist.
Horsemanship lernen: Menschen und Methoden
Es gibt jede Menge guter Horsemen da draußen. Mein Fokus liegt auf jenen im englischsprachigen Raum – ich bleibe gern am Ursprung.
- Die erste Generation der US-Horsemen, auf die die Horsemanship-Bewegung zurückgeht, sind Tom und Bill Dorrance und deren Schüler Ray Hunt. Dessen Schüler wiederum ist unter anderem Buck Brannaman.
- Pat Parelli war der erste, der ein Horsemanship-Home-Study-Programm vertrieben hat. Er nimmt eine Sonderstellung ein.
- Warwick Schiller hat ein umfangreiches Horsemanship-Programm, das in jüngster Zeit den Dreh zu Persönlichkeitsentwicklung gemach hat.
- Zur Nachfolgegeneration junger Horsemen gehören unter anderem Carson James und Ryan Rose, die von verschiedenen Horsemen gelernt und ihr eigenes Programm haben.
- Einer der bekanntesten deutschen Horsemen ist Bernd Hackl.
- Tristian Tucker und Featherlight Horsemanship sind bekannte Pferdemenschen, die eher in Warmblut- und Dressurkreisen unterwegs sind.
Viele der oben genannten haben ihre eigenen Online-Bibliotheken, Abonnements und Programme, um ihren Horsemanship-Ansatz zu lernen. Die Prinzipien dahinter sind oft ähnlich, aber jeder interpretiert sie auf seine Weise. Horsemanship kann heute also ohne Weiteres online gelernt werden (oder sagen wir die Konzepte und Grundlagen, anwenden muss man sie dann natürlich selbst).
Biegung und Stellung in Dehnungshaltung im Trab ohne massivem Zug am Zügel gebisslos geritten: Horsemanship legt die Basis, damit das Pferd die Hilfen des Reiters leicht verstehen kann. Foto: Isabel Tomczyk Photography
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Grammatikalische Horsemanship-Definition
Die 7 Spiele nach Parelli: Pat Parelli nennt die grundlegenden Bodenarbeits-Übungen mit dem Pferd „Spiele“.
Kritik an den sieben Spielen von zwei Frauen, die sich einem sanften Pferdetraining verschrieben haben.
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