Futter als Beziehungsbasis mit dem Pferd – echt jetzt?

Pferd frisst einen Apfel aus der Hand des Menschen
Jetzt hat er mich bestimmt ganz doll lieb. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Wahrscheinlich weißt du es: Das hier ist ein Horsemanship-Pferdeblog. Hier schreibt ein Seilschwinger. Ein Druckmacher. Ein Knotenhalfter-Fuzzi. Ein negativer Verstärker. Und das seit über zehn Jahren: Im Oktober 2013 ist der erste Post erschienen (keine Sorge, das wird kein mit-romantisch-verklärendem-Blick-in-die-Vergangenheit-schauen-Beitrag).

Ich erinnere mich noch gut an die Social-Media-Schlachten und Endlos-Diskussionen zwischen Horsemanship-Anhängern und Clickerern, den Anhängern der positiven Verstärkung im Pferdetraining. Das waren die beiden Lager im alternativen Umgang mit dem Pferd abseits von Turnierreiten und FN-Dressur. Und auch, wenn ich mich schon lange nicht mehr daran beteilige, so hat sich meine Meinung auch in zehn Jahren nicht verändert: Wir können uns die Kooperation bzw. die Zuneigung eines Pferdes nicht mit Futter erkaufen. Wir sollten uns auch nicht auf Futter als zentrales Mittel der Kommunikation verlassen. Irgendwann wird es etwas geben, das dem Pferd wichtiger ist als Futter oder angesichts dessen Futter keine Bedeutung mehr hat – und damit haben wir keine Argumente mehr. Und woher kommt überhaupt die irrige Annahme, dass unter all den Bedürfnissen, die ein Pferd haben kann, Futter das geeignetste ist, um darauf sein Training und seine Beziehung aufzubauen?

Warum nun dieser Post zu einem Thema, das schon so alt ist? Es hat sich ja schon etwas getan in der Pferdewelt oder zumindest in meiner Blase bzw. Wahrnehmung. Grenzen und Lagerbildung sind nicht mehr so statisch wie früher und manche Trainer vereinen hocherfolgreich verschiedene Ansätze.

Pferdetraining nach wissenschaftlichen Prinzipien? Nö du, lass‘ mal

Nun bin ich über einen Beitrag eines Pferdetrainers gestolpert, dem ich sporadischst folge. Im Prinzip sagt er: „Ich würde ja so gern nur mit Leckerli trainieren, weil es mir selbst so ein gutes Gefühl gibt und ich doch einer von den Guten sein will. Aber jetzt hat die Wissenschaft gezeigt, dass mit Leckerli keine Beziehung zum Pferd erzeugt werden kann, weil die Botenstoffe, die damit freigesetzt werden, nicht mit Bindung und Beziehung assoziiert werden.“ (frei übersetzt und interpretiert). Na sowas!

Ich muss zugeben: Eigentlich interessieren mich „wissenschaftliche“ Erkenntnisse in Sachen Pferde herzlich wenig. Weil mich die Ergebnisse von nicht-wissenschaftlich trainierten Pferden mehr ansprechen als jene, die von Menschen erreicht werden, die meinen im Sinne der Wissenschaft am Pferd zu arbeiten.

Gelesen habe ich den Text nur, weil ich wusste, dass er meine eigene Meinung bestätigen würde. Und wie soll ich sagen: Ich hab’s ja gleich gesagt – ganz frei von wissenschaftlichen Ambitionen. Ich finde den Gedanken amüsant und gleichzeitig die Idee dahinter so oberflächlich: mit Futter eine echte Beziehung zum Pferd aufbauen zu wollen. Als ob es zwischen Pferd und Mensch nicht mehr geben würde als den Austausch von Kommandos bzw. Signalen und der folgenden Belohnung oder Strafe, als ob alles immer nur schwarz-weiß ist oder in Kategorien wie „richtig“ und „falsch“ eingeordnet werden kann. Als ob ein mechanischer Ansatz dem Austausch zweier Lebewesen je gerecht werden könnte.

Genauso wenig wie es reicht, den Stick zu schwingen, das Pferd weichen zu lassen und zu glauben, damit ist man jetzt der Chef, reicht es „click“ zu machen und das gluten- und zuckerfreie Leckerli auf Luzernebasis mit fermentierten Kräutern ins Maul zu schieben (es ist aber nur das zweitliebste, nicht das Lieblingsleckerli!) und zu denken, jetzt hat man das Vertrauen des Pferdes. Da darf’s dann schon etwas mehr sein.

Vielleicht greifen reine Trainingsmethoden auch deswegen immer zu kurz, weil sie am Pferdeverhalten ansetzen und nicht am Menschen. Sie also fragen, was will ich vom Pferd und wie erreiche ich das versus wer muss ich sein, damit das Pferd es mir geben kann (nicht falsch verstehen: Ich liebe Methoden und finde sie als Ausgangspunkt optimal. Sie können aber durchaus zu eng werden und dann ist es sinnvoll, den Blick zu weiten).

Ich glaube: Am Ende läuft’s darauf raus, was wir für ein Mensch sind. Ob das Pferd der Meinung ist, dass wir gute Ideen haben und gute Entscheidungen treffen. Dass wir seine Interessen angemessen vertreten.

Pferd wendet sich dem Menschen zu, beide sehen sich an.
Zugewandheit. Auch ein wichtiger Teil der Pferd-Mensch-Beziehung. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Moral-Olympiade im Pferdetraining: really?

Lustig bis dreist finde ich den Anspruch, sich im Pferdetraining besonders moralisch zu verhalten, weil man angeblich keinen Druck macht bzw. nur positive Verstärkung (=Futter) nutzt und keine negative. Weil es den eigenen Bedürfnissen (immer freundlich sein zu wollen und bloß keine Grenzen ziehen) vielleicht näher kommt? Aber wie nett ist das dann noch, wenn das Pferd eigentlich etwas anderes bräuchte? Ist Futter-Training dann nicht eher ein Mittel, das eigene Ego zu streicheln? Sich selbst ein gutes Gefühl zu geben? Und sich dann selbst zu erhöhen, weil man in seiner eigenen Wahrnehmung ach so pferdegerecht trainiert?

Immer sanft und freundlich, auf jeden Fall dominanzfrei – das sind nicht meine Maßstäbe. Meiner ist Klarheit. Immer noch (und immer noch halte ich Freiwilligkeit für ein genauso dämliches Konzept im Pferdetraining wie vor zehn Jahren). Und lustigerweise resultiert aus dem Streben nach Klarheit ein Umgang mit dem Pferd der von großer Freundlichkeit und Harmonie geprägt ist.

Klarheit im Pferdetraining – und Beziehung – und Feel

Klarheit ist stets eine Frage der Kommunikation.

Kennst du das, wenn dein Pferd unsicher wird – bei uns aktuell, weil Handwerker auf dem Stalldach herumkraxeln, Stromleitungen verlegen und Solarpanele mit dem Schlagbohrer anschrauben – es die Augen aufreißt, die Gefahr fixiert und dann zu dir rüberschaut um zu sehen, was du dazu sagst, wie du die Lage einschätzt? Das ist die Basis für Beziehung. Mit Kommunikation kannst du alles entschärfen. Vorausgesetzt, sie findet statt.

Eine Freundin hat ihr Pferd verladen. 4,5 Stunden lang. Es war ein kontinuierliches Gespräch, keine Diskussion, und die Fragen und Antworten – „kannst du nach vorn kommen?“ – „nein“- „kannst du nur die Hinterbeine bewegen?“ – „ja, aber nur in diese Richtung“ flossen hin und her. Hier wurde nicht rumgeschrien, weder verbal noch körperlich. Der Hänger war Gesprächsgegenstand. Und am Ende das Pferd überzeugt, dass es ok ist, einzusteigen. Solche Gespräche sind beziehungsbildend – im Guten wie im Schlechten.

Und irgendwann werden diese Gespräche sehr subtil. Wir teilen mit dem Pferd den Raum und wir interagieren durch unsere Intention, unsere Absicht und unsere Bewegungen und die Energie, die wir transportieren. Einzelne Hilfen und Signale finden dann fast nicht mehr statt, weil sie überflüssig geworden sind – fürs Antraben reicht ein Aufrichten im Sattel und der Gedanke „voraus“, beim Führen bleibt man gemeinsam stehen ohne Zug auf dem Seil oder verbales Kommando. Mensch und Pferd sind im Fluss. Ich wünsche mir, dass jeder die Erfahrung machen kann, wie es sich anfühlt mit seinem Pferd über ein solches „Feel“ verbunden zu sein.

Ich wünsche mir auch, dass jeder die Erfahrung machen kann, dass das Pferd den Menschen dem Futter vorzieht – für das, was er ist und bringt: Bei uns sind das Abwechslung, Sicherheit, Spaß, Bewegung, Stimulation. Ja, ich kann die PN vom Gras abrufen – nicht, weil ich ihn in den Gehorsam terrorisiert habe. Sondern, weil er weiß, dass ich gute Ideen habe. Dass da vielleicht etwas kommt, was besser ist als Gras. Aber auch, weil Gras fressen in meiner Anwesenheit kein Tabu ist. Er also weiß, dass er sich vom Gras nicht für immer trennen muss, wenn er mir folgt.

Reiterin reitet Seitengänge auf dem Pferd
Gespräche übers Seitwärts-Gehen – hier gibt’s kein Schwarz-Weiß, nur Nuancen, Abstufungen und Schattierungen in der Kommunikation. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Ross Jacobs, der als Wissenschaftler in der Medizin geforscht hat, bevor er Pferdetrainer wurde. Seine Eingaben zum Pferdtraining sind immer höchst spannend, da er die Brille des Wissenschaftlers trägt.

Ein paar Ideen, wie man ein guter Pferdemensch werden kann.

Ich nutze übrigens auch Futter im Training – für Tricks. Es ist eine Belohnung für Albernheiten, an denen die PN Freude findet. Aber nicht die Grundlage für Kommunikation.

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