Hilfe, mein Pferd ist unberechenbar!

Ist das Pferd unberechenbar?
Unberechenbares Pferd? Man müsste hinter diese Stirn blicken können… Foto: Isabel Tomczyk Photographie

Manche Pferde verhalten sich für uns unberechenbar. Sie zeigen steigen, bocken, schießen los – scheinbar ohne Grund und aus dem Nichts.

Natürlich ist dem nicht so. Pferde kommunizieren – mal mehr, mal weniger deutlich und wenn wir von einem Verhalten überrascht werden, dann können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass wir einige Ankündigungen, Warnungen oder sogar Hilfeschreie des Pferdes übersehen haben.

Deswegen soll es heute darum gehen, was genau ein Pferd berechenbar macht und wie wir unangenehme Überraschungen verhindern können.

Unberechenbares Verhalten – wenn die Sorgentasse des Pferdes überläuft

Explodiert ein Pferd, haben sich Sorge, Angst und Widerwillen aufgestaut und müssen raus. Das beste Bild, das ich kenne, um den Prozess zu beschreiben, ist das der Sorgentasse vom amerikanischen Horseman Harry Whitney. Jedes Pferd hat eine solche Tasse mit einem gewissen Volumen. Wie viel sie fassen kann, hängt vom Charakter und der Ausbildung des Pferdes ab. Die Tasse füllt sich ein Stück mehr mit jedem Reiz, der dem Pferd Sorgen oder Angst macht. Ist sie voll und es kommt ein letzter Reiz hinzu, dabei ist es egal, was für einer, dann läuft sie über. Nun zeigt das Pferd eine heftige Reaktion wie Bocken, Steigen oder Losreißen. Die Wissenschaft nennt das wohl Trigger-Stacking.

Der Füllstand der Sorgentasse kann von mentalen, emotionalen und physischen Reizen beeinflusst werden. Er kann steigen, wenn das Pferd etwas Bedrohliches in der Ferne sieht oder etwas gehört hat, das es nicht einschätzen kann. Auch körperliche Einflüsse zum Beispiel Schmerzen oder schlechter Boden und damit eine unsichere Balance beeinflussen ihn.

Typische Reize, die die Sorgentasse schnell voll laufen lassen, können zum Beispiel sein:

  • fremde Pferde
  • fremde Umgebung
  • Verladen
  • ein Ansteigen des allgemeinen Energielevels, zum Beispiel durch Bewegung, die eigene oder die externe (eine rennender Hund, schreiende Kinder oder ein knatterndes Motorrad).
Verladetraining kann Reaktionen im Pferd hervorbringen, die wir für unberechenbar halten.
Es lebe der Frontausstieg: In den Hänger verladen ist für viele Pferde keine einfache Übung. Foto: Nadja

Das Problem dabei: Wir kennen den aktuellen Füllstand der Sorgentasse nicht immer. Und auch, wenn das Pferd eigentlich entspannt wirkt, kann es unter der Oberfläche brodeln. Eine gefüllte Sorgentasse bedeutet also nicht zwangsläufig, dass das Pferd auf dem Ausritt ständig antraben will oder den Kopf immer hoch erhoben trägt.

Die PN zum Beispiel ist ein echter Sorgen-Akku, um nochmal so ein Bild zu bemühen. Er speichert sie einfach ab, behält sich unter Kontrolle und wirkt damit wie immer. Das kann 10 oder 15 Minuten oder sogar eine ganze Einheit lang gut gehen. Weder hoher Kopf, noch fixierter Blick oder schnellere oder spannigere Bewegungen. Wenn dann ein Triggerreiz kommt – ein Hund trabt um die Ecke oder ihm rutschen die Beine weg, weil er in Schieflache geraten ist – dann reagiert er mit Losschießen, Kopfschlagen und Bocken.

Früher hat mich das überrascht, heute nicht mehr, weil ich weiß, was ihn vor dem entscheidenden Reiz so hochgefahren hat. Die Tassen-Füller der PN sind folgende:

  • Wenn er lange schneller galoppieren soll, als er es von sich aus anbietet.
  • Wenn der Rhythmus seiner Schritte von Stangen gestört wird und er sich neu sortieren und ein anderes Bewegungsmuster umsetzen muss.
  • Wenn Stangen mit viel Trab und Galopp kombiniert werden.
  • Wenn er mich nicht versteht und ich mit viel Energie unterwegs bin (zum Beispiel beim Desensibilisieren. Er bleibt dann zwar stehen und nimmt den Kopf tief. Aber nicht, weil er entspannt, sondern weil er hofft, dass ich dann aufhöre. Das Kopfsenken ist dann eine Beschwichtigungsgeste und die Hoffnung nichts falsch gemacht zu haben. Er bezieht die Reize auf sich und denkt, ich schimpfe.).

Woran merke ich, dass etwas nicht stimmt? Ich kenne seine Verhaltensmuster.

Einer der alten US-Horsemen sagte:

„what happened before what happened happened?“

Also „Was ist passiert, bevor das passierte, was passiert ist“. Anders formuliert: Was passierte vor der Eskalation? Das ist nicht immer so leicht festzustellen, da wir einen zeitlichen Überblick über unsere Session im Kopf behalten müssen – schließlich kann die Eskalation sich langsam aufbauen. Es ist also nicht nur der Schlüsselreiz unmittelbar davor, sondern eben alle Tassenfüller des Pferdes. Die gute Nachricht: Wenn wir uns darüber erst einmal im Klaren sind, dann können wir bewusster hinsehen, nehmen mehr wahr und behalten damit den Überblick über Reize, die für das Pferd schwierig sein können.

Deswegen: Beobachte dein Pferd und lerne es zu lesen. Das klingt jetzt nach einer Binsenweisheit, ist aber so: Je besser du dein Pferd kennst, desto leichter wird es dir fallen, sein Verhalten einzuschätzen und desto besser kannst du vorbereitet sein.


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Dein Pferd (noch besser) kennen lernen

Wie tickt dein Pferd? Um dein Pferd besser kennenzulernen bzw. zu verstehen, solltest du es beobachten. Wie verhält es sich:

  • im Umgang mit anderen Pferden?
  • im Umgang mit Umweltreizen?
  • im Umgang mit Menschen?

Wenn du es in verschiedenen Situationen beobachten kannst, vermittelt das schon einen ganz guten Eindruck. Für mehr Details: Hier findest du 100 Fragen an dein Pferd, die du stellen und idealerweise auch beantworten kannst.


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Den Pferdtyp charakterisieren

Außerdem gibt es verschiedene Charaktermodelle, die hilfreich sein können, die Persönlichkeit deines Pferdes besser einzuordnen: zum Beispiel die Horsenalities von Pat Parelli, ein System von Linda Tellington-Jones oder eine Erklärung nach den Typen der 5 Elemente-Lehre.

Bei den Horsenalites werden zum Beispiel introvertierte und extrovertierte Pferde sowie ängstliche und mutige unterschieden. Man trägt die Eigenschaften des eigenen Pferdes in vier Quadranten ein. Das Dokument dazu findest du hier. Paledo war zum Beispiel ganz eindeutig ein LBI, ein left brain (=Denker) introvert. Die PN ist nicht so eindeutig zuzuordnen, er hat sehr viele Eigenschaften des LBE (left brain extrovert), ihm fehlt aber die Sicherheit.

Abhängig von den Ergebnissen wendet man im Training dann unterschiedliche Strategien an. Ein Pferd, das von sich aus wenig Bewegungsfreude mitbringt, würde man nicht stundenlang longieren, sondern ihm eher Abwechslung anbieten, zum Beispiel in Form von Ausritten. Einem überreizten, ängstlichen Pferd können die gleichförmigen Zirkel beim Longieren dagegen Sicherheit bieten, während es mit einem Ausritt schnell überfordert sein kann.

Die Kategorien und Schubladen sind nur eine grobe Orientierung. Wir können sie nach Belieben verfeinern. Aktuell höre ich mit großer Begeisterung den Podcast von Stacy Westfall, weil sie andere Blickwinkel einnimmt und mir einige Aha-Erlebnisse beschert hat: zum Beispiel die Abstufungen von Pferden, die eskalieren: Die PN ist meistens ansprechbar, aber wenn er wirklich oben raus ist, dann ist sein Hirn aus und er schaltet komplett in den Selbsterhaltungsmodus. Andere Pferde gehen schneller in die Luft als er, bleiben dabei aber ansprechbar. Wieder andere fahren hoch und kommen nicht mehr runter. Die PN fängt sich nach einem Aussetzer meist schnell wieder. Diese Einschätzungen helfen, unser Pferd besser zu kennen und damit die Unberechenbarkeit zu verkleinern.

Bodenarbeit mit dem Pferd machen – wo sagt es „nein“?

Bodenarbeit am Seil* ist die einfachste Möglichkeit, um herauszufinden, wer dein Pferd eigentlich ist und wie es reagieren wird. Die verschiedenen Übungen, etwa Hinterhand und Vorhand mit direktem Druck (Berührung) und indirektem Druck (Energie) zu verschieben, nach einem Rückwärts zu fragen oder das Pferd auf den Zirkel zu schicken, zeigen dir genau, wo dein Pferd „ja“ sagen kann und wo nicht. Eigenschaften, die du im Training vorfindest, verstärken sich in Extremsituationen, wenn sich dein Pferd bedroht fühlt: Pferde, die sich zum Beispiel schwertun, die Schulter aufzumachen und die Vorhand von dir wegzubewegen, werden im Zweifelsfall, wenn sie scheuen oder rüpeln, mit der Schulter in dich schieben. Und wenn du schon im alltäglichen Training viel Energie benötigst, damit dein Pferd weicht oder deiner Anfrage Folge leistet, dann wirst du in der Eskalation noch deutlich mehr benötigen. Damit bekommst du einen guten Überblick und kannst durch das Training eine gute Grundlage legen, zum Beispiel, indem du deinem Pferd erklärst, dass es nicht mit der Schieben darf und dass bereits auf feine Hilfen eine Reaktion erwartet wird.

Außerdem kannst du deinem Pferd verschiedene Gegenstände präsentieren und seine Reaktion im geschützten Umfeld eines Reitplatzes oder Roundpens testen: Kannst du es mit der Flagge berühren? Kann es über die Plastikplane laufen? Was passiert, wenn du einen Pezziball auf es zurollst? Seine Reaktion auf etwas Neues erlaubt dir wieder Rückschlüsse auf sein Wesen: Ist es neugierig oder eher ängstlich? Kann es sich überwinden oder bleibt es skeptisch?

Wie reagiert es, wenn du die bisher liegende Ikeamatte auf einmal aufstellst?

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Unsere Matte zum Spielen - fürs Scheutraining genauso wie für Spiele mit der Balance.

Kannst du mit deinem Stick* auf den Boden schlagen, ohne dass es zusammenzuckt oder sich entziehen muss?

Das, was du wahrnimmst, bestimmt dann das Training bzw. den Umgang mit dem Pferd. Sprich: Nur, weil dein Pferd heute Angst vor Geräuschen oder schnellen Bewegungen hat, muss das nicht so bleiben.

Ist das Pferd unberechenbar? Beim Scheutraining nicht.
Beißt sie oder beißt sie nicht? Spaß mit der Decke aus dem Erste-Hilfe-Kasten für Mensch und Pferd. Foto: Nadja

Stimmungen spüren – der Vibe

Ein Auge fürs Detail, für die Körpersprache, Gestik und Mimik zu haben und damit über eine präzise Beobachtungsgabe zu verfügen, ist eine gute Sache. Das ist aber noch nicht alles: Es gibt da noch etwas, das nennt sich Gefühl. Wenn du die Stimmung deines Pferdes unterschwellig spürst, ohne, dass du sie großartig an einzelnen Verhaltensweisen festmachen kannst. Ich nenne das „den Vibe“.

Ignoriere dieses Gefühl nicht, es ist ein guter Hinweisgeber auf „what happenend before what happened happened“: Es sagt dir, „mach dich bereit, da kommt was“. Wenn ich merke, dass der „Vibe“ der PN heute „Abspackmodus“ ist, dann weiß ich, dass er früher oder später eskalieren wird – und führe das dann meist selbst herbei, indem ich ihn Dinge tun lasse, die ihn hochfahren – über Stangen gehen zum Beispiel oder nach einem höheren Galopptempo fragen, als er von sich aus anbiete (siehe oben).

Warum ich nicht versuche ihn zu beruhigen und herunterzufahren? Weil ich an solchen seine Tasse nicht vollständig leeren kann und es für uns beide einfacher ist, sie kontrolliert überlaufen zu lassen und danach in die Entspannung zu finden. Mehr dazu in den folgenden Absätzen.

Was tun mit der Sorgentasse?

So viel zu den Voraussetzungen, um Unberechenbarkeit langsam aufzulösen in deiner Beziehung zum Pferd. Jetzt geht es darum, was du konkret tun kannst, um Eskalationen vorzubeugen und zu entschärfen: Du hast drei Möglichkeiten.

  • Den Füllstand der Tasse immer niedrig halten
  • Strategien anwenden, um ein eskaliertes Pferd wieder zu beruhigen
  • Die Tasse kontrolliert vor der absoluten Eskalation überlaufen lassen

Den Füllstand niedrig halten: Verhindern, dass die Tasse vollläuft

Soviel vorab: Das Pferd immer in der Entspannung zu halten ist nicht das Ziel – Training, Ausritte und Ausflüge kommen immer mit einem gewissen Grad an Anspannung und sind mit Stress verbunden. Unser Job ist es, das Level dabei so anzupassen, dass das Pferd damit umgehen kann.

Anders formuliert: Ist der Füllstand seiner Sorgentasse niedrig, kann das Pferd auch mit einem heftigeren Reiz umgehen – er füllt sie nicht vollständig und damit läuft die Tasse nicht sofort über, sondern kann noch mehr aufnehmen. Wie wir die Tasse immer wieder leeren, um den Füllstand niedrig zu halten, hängt vom Pferd ab. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Anspannung und Entspannung die Waage halten und auf eine mental oder körperlich anstrengende Lektion eine Entspannungsphase folgt, damit das Pferd wieder herunterfahren kann. Gerade am Anfang sind wir oft mit dem Leeren der Tasse beschäftigt. Mit voranschreitendem Ausbildungsstand füllt sie sich nicht mehr so schnell und das Pferd hat gelernt, sie selbst zu leeren, das heißt ohne unsere Hilfe aus der Angst zurück in die Entspannung zu finden.

Der Füllstand der Sorgentasse hängt auch immer mit der Aufmerksamkeit des Pferdes zusammen. Bei der PN sind Füllstand-Erhöhungen meist externe Reize. Das bedeutet für mich, dass meine Hauptaufgabe darin liegt, seine Gedanken bei mir zu halten, wenn er sich lieber an der Umgebung orientieren würde bzw. seine Gedanken zu unterbrechen, wenn er sich irgendwo festglotzt. Damit muss er seine sorgenvollen Gedanken loslassen und der Füllstand der Tasse erhöht sich nicht weiter.

So sieht das beim Reiten aus: Um den Kontakt zu halten, gebe ich eine leichte Zügelhilfe, lege ein Bein an oder mache ein Geräusch. Bekomme ich ein Ohr von ihm als Reaktion, stelle ich die Hilfe ein und reite weiter. Wenn nicht, wird eine Lektion daraus – ich bleibe dran, bis das Ohr kommt. Das ist wichtig, weil die PN als Multitasker sehr gut in der Lage ist, zum Beispiel Seitengänge oder Stopps auf Autopilot auszuführen und mental trotzdem woanders ist. Das Ohr zeigt mir dann, dass er zu mir zurückdenkt. Eine gute Übung für „Gedanken zurück zu mir“ ist das Rückwärts. Das erfordert mentale Anwesenheit. Die laterale Flexion, also das Biegen des Halses ist ebenfalls eine starke Möglichkeit, Kopf und Hirn wieder ansprechbar zu machen.

Das wären weitere Strategien, wenn du merkst, dass dein Pferd angespannt ist, eine Eskalation aber noch nicht unmittelbar bevorsteht:

  • Warten, entspannen und passiv sein. Das nutze ich in Situationen, wenn die PN etwas unbedingt anschauen muss und ich weiß, dass die Möglichkeit, Klarheit über eine Bedrohung zu gewinnen, seine Tasse leeren wird. Er glotzt dann für ein paar Sekunden oder eine halbe Minute, dann kommt der Kopf runter und er schaut zu mir und fragt, „was jetzt?“. Das finde ich insofern gut, weil er seine Sorge dann allein bewältigt hat.
  • Andocken lassen. Ich habe der PN beigebracht, mit der Nase meine Hand zu berühren, wenn ich sie hinhalte. Das bringt die Gedanken zu mir zurück, ebenso beruhigt der direkte Kontakt durch Berührung. Das kann schon ausreichen, einen starren Fokus und die damit verbundenen sorgenvollen Gedanken aufzubrechen und einen Neustart zu ermöglichen.
  • Atmen und lächeln. Wenn die Sorgentasse der PN steigt, zum Beispiel, wenn ein Therapeut in der Nähe ist, dann sehe ich ihn immer wieder zu mir herüber linsen. Diese Frage nach „Was sollen wir tun? Werden wir alle sterben?“ beantworte ich mit atmen und lächeln. Hier gilt: Das ausstrahlen, was du selbst gern im Pferd sehen würdest.

Und dann gibt’s natürlich noch die individuellen Strategien. Tue das, was deinem Pferd Sicherheit vermittelt:

  • Was die PN beruhigt, ist mir hinter dackeln zu können, so dass er nicht die Führung übernehmen muss. Er kennt es aus der Gymnastizierung, dass ich rückwärts gehe, er meinem Bauchnabel folgt und wir dann Richtungswechsel auf dem Zirkel machen oder Schlangenlinien, so dass er sich oft umstellen und neu biegen muss. Für ihn ist das eine entspannende Routine, deswegen kann ich sie nutzen, um seine Sorgentasse auszuleeren.
  • Absoluter Chill-Joker für die PN sind streicheln und reden. Je schweigsamer ich werde, desto angespannter wird er. Nach einer Lektion, wenn ich Pause am langen Zügel gebe, dreht er oft den Kopf und schaut nach mir – für mich dann der Hinweis, dass ich zu wenig positive Rückmeldung gegeben habe.

Vorsicht vor Tricks!

Das Problem mit „Tricks“. Wenn wir Lektionen oder Hilfen drillen, dann passiert es, dass Pferde gehorsam reagieren, aber mental im Autopilot bleiben. Die laterale Flexion ist ein Paradebeispiel dafür. Wenn wir wiederholt und stumpf und abwechselnd links rechts den Kopf und den Hals biegen wie Knetmasse, laufen wir Gefahr den Hals viel zu mobil zu machen und von den Füßen abzukoppeln. Das Pferd kommt dann zwar mit dem Kopf herum, läuft aber trotzdem über die äußere Schulter weg. Hässlich, wer das reiten musste. Das passiert, wenn das Pferd eine Hilfe, ein Signal wie einen Trick gelernt hat. Das Signal ruft eine bloße körperliche Reaktion hervor, aber mental verändert sich nichts im Pferd.

Korrekte laterale Flexion holt dagegen die Gedanken des Pferdes zum Reiter zurück. Es denkt nach hinten. Gut zu erkennen an der Position der Ohren und am Auge. Schaut das Pferd zu uns? Oder ist Weiß zu sehen, was bedeuten kann, dass es zwar den Kopf gebogen hat, aber versucht in die andere Richtung zu schauen, das heißt stark dorthin denkt? Ein eindeutiges Zeichen ist auch das Verwerfen im Genick. Will ich zum Beispiel, dass die PN mit der Nase nach links rüber kommt und er denkt stark nach rechts, kippt sein linkes Ohr nach unten und er schiebt die rechte Ganasche nach rechts.

Im Falle der lateralen Flexion können wir leicht überprüfen, ob unser Pferd dem Gefühl der Zügel mit seinen Gedanken folgt oder einfach nur dem Druck weicht: Wenn leichter Druck am Zügel dazu führt, dass das Pferd vollständig mit Kopf und Hals herum schwingt und dann gleich wieder vor, dann haben wir ihm einen Trick beigebracht. Wenn wir aber über den Zügel nach verschiedenen Graden der Abstellung fragen können und das Pferd beim Nachgeben nicht sofort den Hals wieder gerade macht wie eine zurückspringende Feder, dann haben wir reale laterale Flexion.

Akut-Strategien, wenn die Sorgentasse überläuft

In einer perfekten Welt gelingt es uns, das Pferd nicht zu überfordern und dementsprechend bleiben Eskalationen aus. In der Realität ist das nicht so – deswegen brauchen wir Strategien, um hochgefahrene Pferde wieder herunterzufahren.

  • Reite kleine Kreise (Volten) und zwar nur über den inneren Zügel. Es geht nicht darum, schöne Kreise an allen Hilfen zu reiten, sondern dem Pferd über den inneren Zügel zu helfen, seine Angst sprichwörtlich rauszulaufen. Der innere Zügel stellt dabei sicher, dass der Hals gebogen ist und dein Pferd übertritt. Wir bringen es damit in eine Form, die es ihm nicht erlaubt, sich steif, fest und gerade zu machen. Das hilft dem Pferd, auch mental loszulassen. Wichtig dabei: Es darf so lange laufen wie es muss, wir verhindern keine Bewegung. Wie der innere Zügel und das Übertreten lassen der Hinterhand zusammen hängen, kannst du hier lesen.
  • Reite Serpentinen, enge Schlangenlinien mit vielen Stellungs- und Biegungswechseln. Der Sinn dahinter ist, dass der Körper deines Pferdes flexibel bleibt und damit das Gegenteil von vor Angst erstarrt. Enge Wendungen erschweren das Starrwerden und geben dem Hirn etwas zum Denken.
  • Die Hinterhand übertreten lassen. Das kann eine gute Übung sein, da das Pferd auch hier wieder seine Energie herauslaufen kann, wir es ihm aber etwas anstrengender machen, was ein Umdenken befördern kann. Wichtig dabei: Wir jagen nicht blind und wütend den Hintern im Kreis, sondern wir fragen nach Rhythmus, Gleichmaß und das Ganze mit einem netten Lächeln im Gesicht. Wenn wir das Pferd mit dieser Übung für Ablenkung oder Angst bestrafen wollen, fördert sie nicht Entspannung, sondern Angst.
  • Die Hinterhand herausschicken. Das ist das Notaus. Wenn die PN am Seil zu schnell wird, fällt er immer auf die innere Schulter und beginnt mehr und mehr, die Balance zu verlieren. Schicke ich dann mit dem Seil seine Hinterhand raus, ist er gezwungen, die innere Schulter aufzustellen. Das bringt ihm die Balance zurück. Warum und wie, das kannst du hier lesen.
  • Außerdem gibt es Lektionen, die eine Brücke zwischen mentaler Überforderung und Gehorsam und Entspannung bauen können. Die PN hat zum Beispiel gelernt seinen Trab auf ein Signal hin zu verkürzen. Fliegt er mir jetzt um die Ohren, verhindere ich zunächst einen Panikgalopp – der ist dann immer mit fliegendem Sand, einem schrägliegenden Pferd, tiefer Schulter und maximalem Balanceverlust verbunden. Das heißt, ich pariere immer wieder energisch durch, bis die PN den Trab findet. Wenn ich dann nach verkürztem Trab frage, bekomme ich durch seine überschüssige Energie eine Passage – die Übung bringt ihn dann wieder zum Denken, kanalisiert die Angst in Form von Bewegungsdrang und gibt mit die Chance wieder loben zu können. Damit ist der Pfad zur Entspannung angelegt.

Die Sorgentasse kontrolliert leeren

Und dann gibt es noch die Möglichkeit, selbst einen Reiz zu setzen, um das Pferd aus der sich steigernden Anspannung zu holen und das Muster zu unterbrechen. Das hat den Vorteil, dass du vorbereitet bist und nicht warten musst, bis etwas Externes passiert – du steuerst es selbst. Ich mache das gern beim Spazieren gehen: Sagen wir die PN glotzt und ist spannig, dann schlurfe ich mal unerwartet beim Gehen mit den Füßen und erzeuge ein raspelndes Geräusch. Er zuckt, guckt, fragt mich, was ich da mache und schon ist er wieder im Denken und der Füllstand seiner Tasse deutlich gesunken. Damit war die Unterbrechung eine Art Reset-Button. Hier gilt natürlich: Tue das nur, wenn du den Anspannungsgrad deines Pferdes gut einschätzen und seine Reaktion handeln kannst. Es ist keinem gedient, wenn du dein Pferd so in Angst versetzt, dass es sich losreißt oder einen andere Stunt zeigt.

Der Schlurf-Test eignet sich auch gut, um mir eine Einschätzung des Füllstands zu geben: Ignoriert die PN meine Geräusche, sind wir chillig unterwegs.

Kein unberechenbares Pferd - Reiten im Nebel und bei Kälte.
Reiten bei Temperaturen knapp über Null Grad, im Nebel mit Pad und weichem Rope-Bosal. Check.

Hier ein paar Links zum Thema „Pfersönlichkeit“ verstehen.

Und hier noch einige Videos (auf Englisch) zum Thema Sorgentasse und Unfallvermeidung.

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