Verbietet endlich das Reiten! Und die Pferdehaltung! Und überhaupt!

Reiten verbieten: Reiter im Galopp auf einem Reitplatz im Grünen.
Da hat der Reiter einfach zu viel Spaß. Das muss verboten werden. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Ich muss euch ein Geständnis machen. Ich wende Gewalt an im Umgang mit dem Pferd. 

  • „PN“ ist ein Spitzname, den ich ihm verpasst habe.
  • Die PN trägt Knotenhalfter*.
  • Die PN wird geritten – mit Gerte, manchmal mit Sporen und oft ganz ohne.

Du fragst dich, wo das Problem ist? Ich mich auch. Denn aktuell erfährt die Definition von Gewalt im Pferdetraining einen interessanten Dreh – ausgelöst von dem Riesenrummel über eine Folge der neuen Pferdeprofis. Für alle, die nicht im Bilde sind: Ein Horsemanshiptrainer löst das Verladeproblem einer Ponystute – aber nicht auf die feine englische (sic!) Art.

Cliquen-Terror: Auf ihn mit Gebrüll!

Jetzt werden offene Briefe verfasst, Petitionen aufgesetzt, die Produzentenfirma heiß telefoniert. Dazu kommt die übliche Hysterie, wenn es darum geht Trainer außerhalb der eigenen Bubble zu kritisieren, die Dinge anders machen als man selbst (was für eine Zumutung!): Er trägt keinen Helm! Er ruckt am Knotenhalfter! Er hat am Knotenhalfter angebunden! Horsemanship und die böse Dominanztheorie werden sogleich als die Schuldigen ausgemacht. Und während ich die Kritik in Teilen nachvollziehen kann, so ist ihr Ausmaß völlig irre und jenseits von Gut und Böse.

Nachtrag: Parallel gab es einen weiteren Vorfall, der das Blut der Pseudo-Pferdeschützer in Wallung gebracht hat. Auf der Equitana hat ein old-school Pferdetrainer ein Pferd gehobbelt: Er hat ihm die Beine zusammengebunden. Warum in aller Welt würde man das tun? Nun, das Hobbeln kommt – wie ziemlich das gesamte gute Horsemanship – aus den USA. Rancher und Cowboys hobbeln ihre Pferde, um deren Bewegungsradius einzuschränken, wenn sie gerade nicht draufsitzen. Denn in den Weiten der USA ist nicht immer ein Baum vorhanden, um das Pferd anzubinden. Und ohne Pferd in der Prärie ist eher äh unvorteilhaft. Hobbeln hat darüber hinaus noch den Effekt, dass sich das Pferd daran gewöhnt, auch mit den Beinen auf Druck nachzugeben und nicht dagegen zu kämpfen – sollte es sich also in irgendetwas verfangen – Stacheldraht, Litze, Brombeerranken – ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es sich nicht verletzt, wenn es das Hobbeln kennt. Würde ich mein Pferd hobbeln? Nein, denn ich habe keine Ahnung, wie ich ihm das ohne Gefahr beibringen kann. Verdamme ich das Hobbeln? Nein, denn, wenn es richtig gemacht wird, versteht es das Pferd und kann davon profitieren. Und all denjenigen, die angesichts dieser Methode Schnappatmung bekommen, kann ich nur fragen: Hobbeln ist böse, aber dem Pferd das Maul mit Sperrriemen zubinden oder den Kopf mit Hilfszügeln runterschnallen ist schon ok? Die Equitana hat dem Pferdetrainer übrigens Hausverbot erteilt und damit nicht nur die vollständige Abwesenheit von Rückgrat unter Beweis gestellt, sondern dem Mob nachgegeben und damit Tür und Tor für die nächste Cancel-Runde geöffnet. Herzlichen Glückwunsch! Who’s next?

Wenn ihr soviel Sendungsbewusstsein habt und das Wohl der Pferde euch so eine Herzenssache ist, dann kehrt doch vor eurer eigenen Tür! Schaut auf die Stars und Sternchen eurer Sparte und macht den Mund auf, wenn es wirklich unbequem, wird statt mit dem Finger auf die vermeintlichen Verfehlungen anderer zu zeigen. Hinterfragt euch erst mal selbst. Die Liste von schlechter Reiterei und schlechtem Umgang mit dem Pferd ist endlos, und ja, na sowas, spartenübergreifend

  • Barrende Springreiter, die die Vorderbeine des Pferdes über dem Sprung von Helfern mit Stangen „touchieren“ lassen.
  • Rollende, riegelnde und zerrende Dressurreiter, die die Gangqualität ihrer Pferde nur noch sitzen können, indem sie in den Zügeln hängen und sich im Sattel wie auf einer Harley zurücklehnen.
  • Mit den Sporen stechende Westernreiter, die ihre Zweijährigen mit harten Stopps in den Boden reiten. 
  • Faule Freizeitreiter, die ihre Pferde verfetten lassen und sie alle zwei Wochen sonntags für den 5-Stunden-Wanderritt aus dem Stall zerren.
  • Von der Reitkunst beseelte Barockreiter, die ihre aber Pferde gegen Wände galoppieren oder an der Kandare in absoluter Aufrichtung bei durchhängendem Rücken und Ventilator-Schweif Pseudopiaffen trippeln lassen.
  • Dauer ausgeschlauchte Clickerpferde, die vor lauter Fressgeilheit Verhaltensstörungen entwickeln und sich frei von Frustrationstoleranz auf den Boden werfen, weil sie nicht mehr weiter wissen.

Was ist Gewalt?

Pferdehaltung verbieten: Mensch berührt Pferd mit Flagge
Training mit Flagge – das kann nur Gewalt sein! Denn ich, der Betrachter, habe davon keine Ahnung, und was ich nicht verstehe, muss einfach schlecht sein! Foto: Isabel Tomczyk Photography

Jede Menge offensichtlicher Missstände. Aber da geht noch was: Ich lese von physischer und psychischer Gewalt, von Gewalt in Form von fehlenden Ausweich- und Wahlmöglichkeiten im Training für das Pferd. Demnach ist es Gewalt, ein Pferd auf einem kleinen Kreis zu zirkeln, wenn es das körperlich nicht kann (Geheimtipp: Durch Belastung bauen Pferde Muskeln auf und gewöhnen sich an neue Bewegungsabläufe…).

Und ja: Es gibt auch verbale Gewalt gegenüber dem Pferd. Darunter fallen demnach tatsächlich auch Spitznamen, Geschlechterklisches und im weitesten Sinne nicht so ganz freundliche Gedanken über das eigene Pferd. Da stellen sich mir diese Fragen: Wollen wir uns vom Humor komplett verabschieden? Sind 100 Prozent Perfektion mit vollständiger Gedankenkontrolle gut genug? Und: Haben wir keine anderen Probleme? 

Die Geister, die ihr ruft

Warum dieser Beitrag einen schärferen Tonfall anschlägt: Weil ihr die Geister, die ihr ruft, und die in Form von PETA und unter der Flagge des vermeintlichen Tierschutzes aufschlagen, nicht mehr los werdet. Ihr sägt am Ast, auf dem wir alle – Reiter, Pferdefreunde, Pferdebesitzer, Trainer – sitzen. Und sorry, da habe ich keinen Bock drauf. Ich habe keine Lust, am Ende vom Gesetzgeber die Pferdehaltung oder das Reiten verboten zu bekommen, weil einem Tierliebhaber in falschem Eifer die Moralsuppe übergekocht ist. Ich will mich ebenso wenig einer bürokratischen Regelungswut unterwerfen – gemacht von Menschen, denen der Realitätsbezug vollkommen abhanden gekommen ist: Wollt ihr euch wirklich von beseelten Pferdemenschen vorschreiben lassen, welche Spitznamen ihr eurem Pferd künftig geben dürft? Wollt ihr wirklich, dass jedes Vierteljahr der Prüfer unangekündigt bei euch anklopft und schaut, ob ihr auch gut mit eurem Pferd umgeht? Wollt ihr wirklich Pflichtkurse ablegen müssen, um ein Pferd weiterhin halten zu dürfen? Seid ihr einverstanden eure Arbeit am Pferd überwachen zu lassen und somit einer Qualitätskontrolle zu unterziehen? Ja? Aber was ist, wenn ihr gar nicht nach den Statuten der Kontrolleure arbeitet? Ups. 

Das Problem ist doch, dass wir uns untereinander überhaupt nicht einigen können, was dem Pferd schadet und was nicht. Das beginnt bei Haltung und Fütterung und endet noch lange nicht bei Training und Reitweise.

  • Eisen oder Barhuf?
  • Decke oder uneingedeckt?
  • Hafer oder Gerste?
  • Dressur oder Western oder Akademisch oder Barock?
  • Gebiss oder gebisslos?
  • Ausbinder oder Kappzaum?
  • negative oder positive Verstärkung?

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Als Horsemanshipler kann ich da nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: falsch geknotetes Knotenhalfter, Handschuhe und dann noch eng geführt. Bleibt lieber beim Stallhalfter, Leute, ihr habt es nicht verstanden.

Daran muss auch ein verpflichtender Pferdeführerschein als eine Art Nachweis, dass man über gewisse Grundkenntnisse verfügt, scheitern. Denn deren Grundkenntnisse sind nicht meine; ich würde durchfallen wie ein Felix Baumgartner durch die Atmosphäre: Denn hier wird nicht mit Hilfszügeln longiert, ich trage Handschuhe nur bei Minusgraden und das Pferd wird auch nicht eng am Knotenhalfter* geführt.

Und immer daran denken: Verbote haben die Tendenz, sich auszubreiten. Wird der Pferdesport verboten, dann sind auch die Tage des Freizeitreitens gezählt. Und da wir eh gerade dabei sind, sollten wir auch Hunde-, Katzen- und andere Heimtierbesitzer unter die Lupe nehmen. Denn Menschen, die ihren Tieren schaden, sind ja nicht nur Reiter. 

Mein absolutes Highlight in den Lösungsvorschlägen gegen Gewalt am Pferd stellt übrigens das Denunziantentum dar. Genau. Schwärzt einfach den ungeliebten Mitreiter beim Veterinärsamt oder dem Tierarzt an. Verpetzen im Namen des Guten fühlt sich bestimmt wahnsinnig toll an. So kann ein gutes Miteinander nicht funktionieren. Zu solchen Maßnahmen greifen zu wollen, ist in meiner Wahrnehmung krank.

Den Bock zum Gärtner machen – lasst die Verbände ran

Nun könnte man denken, es tut sich doch was: Der Fünfkampf wird künftig bei Olympia ohne Pferd stattfinden. Für mich war der Eklat mit den hässlichen Bildern nur ein Nebenkriegsschauplatz. Denn die gleichen oder schlimmere können beliebig reproduziert werden, zum Beispiel auf den großen Turnieren und ihren Abreiteplätzen – und da kräht kaum ein Hahn nach. Die Fünfkämpferin war ein Bauernopfer, während die systematischen Schinder ihr Spiel einfach weitertreiben und sich dabei noch auf die Schulter klopfen. Und die untätigen Verbände sind nicht Teil der Lösung, sondern des Problems, wenn bestimmte Trainingsmethoden wie Barren oder Rollkur in der Hand von Profis geduldet werden. Also Missbrauch ist schon ok, wenn er von den Richtigen durchgeführt wird. Und außerdem wird der Missbrauch ja zeitlich begrenzt: Also 10 Minuten Pferdequälen durch Rollkur passen, ab Minute 11 wird’s halt doof. 

Und wir wundern uns, warum Pferdeleute und Reiten so ein schlechtes Image haben. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir Kritik am Reitsport oder am Reiten an sich einfach als unqualifiziert wegwischen: „Der Laie kann doch gar nicht beurteilen, was wir mit dem Pferd machen.“ Äh doch. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind in einem Fernsehbeitrag ausgebundene Pferde gesehen habe und ich konnte es nicht ertragen. Im Reitverein war das dann an der Tagesordnung, ich ritt ausgebundene Pferde, hatte die Erklärungen dafür gehört und für schlüssig befunden. Und heute kommen mir unter keinen Umständen mehr Hilfszügel ans Pferd.

Mensch führt Pferd am Seil im Grünen
Das Pferd muss dem Menschen folgen – das kann nur eine Form von subtiler psychischer Gewaltanwendung sein. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Die Lösung: Pragmatismus und Realismus 

Genug gestänkert, wie kann man das Dilemma lösen: Gewalt am Pferd soweit es geht unterbinden, ohne in Verboten und Regulierungen zu ersticken und die Atmosphäre in Ställen durch Überwachung noch weiter zu vergiften? Wir brauchen realistische Anforderungen. Wir müssen „nein“ sagen – in beide Richtungen: „nein“ zu tatsächlicher Gewalt. Und „nein“ zu dem, was manche als Gewalt definieren wollen: Spitznamen sind nämlich keine.

Ich glaube (immer noch), dass wir Menschen über so eine Art des inneren Kompasses verfügen, der uns intuitiv sagt, was richtig ist und was nicht. Als ich noch Horsemanship-Stunden geben habe, war mir die Einschätzung von Laien immer wichtig. Der Ehemann, der seiner Frau bei der Stunde und der Arbeit mit dem Pferd zusieht und dann meint: „Das sah aber schön aus.“ Oder die Mutter einer Freundin, die Zuschauerin auf einem Turnier war und meinte „das machen die Pferde doch nicht freiwillig.“ 

Vielleicht schaffen wir es, uns auf ein paar Grundlagen zu verständigen

  • dass es nicht ok ist, einem Pferd mit der Kandare den Kopf an die Brust zu ziehen
  • dass es nicht ok ist, einem Fluchttier den Kopf in welcher Form auch immer herunterzubinden
  • dass es nicht ok ist, Gebisse einzusetzen, die Schmerzen erzeugen und mit Sperrriemen zu verhindern, dass sich das Pferd dem entziehen kann.

Was für mich nicht verhandelbar ist: Die Grundbedürfnisse des Pferdes müssen gedeckt sein

  • Auslauf und Bewegung
  • Soziale Kontakte
  • Licht und Luft
  • Schutz vor der Witterung
  • Futter und Wasser
  • Schmerzfreiheit

Wir sollten uns klarmachen, dass wir täglich nur eine sehr begrenzte Zeit mit dem Pferd verbringen, vermutlich irgendetwas zwischen einer und drei Stunden pro Tag. In der restlichen Zeit lebt es sein eigenes Leben. Unser Job ist es also, sicherzustellen, dass es in dieser Zeit Pferd sein und seine Bedürfnisse befriedigen kann. Schon aus reinem Egoismus: Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Verhaltensprobleme oft Haltungsprobleme sind, die schnell gelöst werden können, wenn das Pferd in einem Umfeld leben kann, das es zufrieden stellt. 

Und da wären wir wieder bei der durchaus kompetenten Einschätzung des Laien: Führst du den durch eine hoch- und eng vergitterte dunkle Boxengasse, wo der Staub vom letzten Misten noch in der Luft hängt, wird der sicher nicht von der angenehmen Aufenthaltsqualität schwärmen. Und da bin ich tatsächlich bei der Fraktion der Hardcore-Pferdeschützer: Schlechte Haltung ist eine Form von Gewalt.

Boxenhaltung wäre deswegen das Erste, was ich abschaffen würde. In meiner Wahrnehmung sind Boxen nach wie vor die gängigste Form der Pferdehaltung – vor allem dort, wo mit Pferden satt Geld verdient wird. Dort sitzt dann auch die entsprechende Lobby und die wird den Teufel tun, etwas am Status Quo zu verändern.

Individuelle Lösungen statt platte Verallgemeinerungen

Die Herausforderung hier: Der Teufel steckt wieder im Detail. Wie viel Auslauf braucht denn nun das Pferd – nun, das hängt von ihm selbst ab. Wie viel soziale Kontakte? Die PN braucht zum Beispiel Wallache und Stuten in seiner Herde, um sich wohl zu fühlen. Der Projektwallach stand damals zur mit Wallachen zusammen. Und wo das eine Pferd Futter rund um die Uhr braucht, wird das andere davon einfach zu fett, was seiner Gesundheit auch nicht zuträglich ist. Wir brauchen individuelle Lösungen. Und auch wieder Augenmaß, um nicht zu sagen das rechte Maß. Denn auch hier schießt man über das Ziel hinaus: Wenn mir wieder ein Text begegnet, der über schlechte Herdenzusammenstellung und deren Auswirkungen auf Pferdekörper und -seele lamentiert, muss ich schon fast lachen. 

In welcher Welt leben die Autoren? Bei uns sieht die Realität so aus: Entweder ich stelle mein Pferd auf die Matschkoppel hinter die nächsten Hügel, wo es im Sommer von Bremsen zerfleischt wird und im Winter bei jedem Schritt in zugefrorenen Pfützen einbricht.  Oder es wohnt im Boxenknast mit Paddock-Gefängnishof zwischen Autobahnen – für mich gibt’s aber den Cappuchino-Automaten im Reiterstübchen und Ebbe-Flut-System in der klimatisierten 90 Meter Reithalle für perfekte Reitbodenverhältnisse. Dazwischen gibt es nichts. Sprich, Offenstall, Herdenhaltung, 24/7 Heu in guter Qualität in erreichbarer Nähe ist schon ein wahrgewordener Traum. Da kann ich nicht kommen mit Sonderwünschen für Herdenzusammenstellung, Paddock-Trail, goldenen Wasserhähnen oder was auch immer mein gebildetes Pferdemenschenherz gerade so verlangt.

Deswegen Demut: Runter vom hohen Ross

Pferdehaltung verbieten: Pferd hat Angst vor Regenschirm
Traumatische Erfahrung Regenschirm. Training kann Skepsis und sogar Angst im Pferd hervorrufen. Unsere Aufgabe: Die Kurve kriegen und dem Pferd zeigen, dass es nicht sterben wird. Foto: Isabel Tomczyk Photography

Übrigens: Wer Gewalt so breit definiert und sie am Pferd vollständig verhindern will, der muss die Pferde leider aus seinem eigenen Leben verbannen. Denn wir selbst machen auch Fehler –  selbst dann, wenn wir es gut meinen. Niemand kommt als geborener Pferdemensch auf die Welt und zum Lernen gehören nun einmal Versuche und Irrtümer. Die spezienübergreifende Kommunikation Mensch-Pferd gestaltet sich nicht immer so einfach und schon kommt es zu Missverständnissen. Alle unsere Fehler und Fehleinschätzungen können am Ende dazu führen, dass das Pferd mehr oder weniger darunter leidet: Vielleicht hat es Stress im Umgang mit uns, weil wir nicht klar genug sind, vielleicht fürchtet es sich vor Strafen oder wir haben verkannt, dass der Sattel nicht passt oder dass die Hufe falsch bearbeitet werden oder das Intervall zum nächsten Zahnarzttermin ist zu lang gewählt – oder, oder oder. Die Möglichkeiten sind endlos. Ja, die PN kennt Stress und Verwirrung, Ausweichverhalten, Angst und Überforderung. Mache ich das absichtlich? Nein. Kann ich es immer verhindern? Auch nein.

Wir müssen runter von unserem hohen, moralischen Ross, anderen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Auf dem Boden der Tatsachen ankommen und bei uns im Kleinen daran arbeiten, besser zu werden. 

Guter Umgang mit dem Pferd?

Guter Umgang bedeutet für mich auf die individuellen Bedürfnisse des Pferdes einzugehen – und zwar ohne Scheuklappen und Dogmen. Das kann auch dazu führen, dass man die eigene Vorstellung an die Realität anpassen muss. Bei uns sah das so aus:

Meine Vorstellung war: Robuste Herdenhaltung im Offenstall ohne Zufütterung und ohne Decke. Western-Dressur mit Gebiss und hoffentlich irgendwann mal auf Kandare. Ausfahrten zu Seminaren. Gemütliche Ausritte, keine Spaziergänge (ich hasse sie), wenig longieren am Kappzaum (so laaangweilig und so gar nicht horsemanshippig).

Die Realität: Die PN ist nicht ganz so robust, deswegen trägt er bei Regen eine Decke. Ohne Zufütterung wird er trotz Heu rund um die Uhr zu dünn. Die Idee vom Reiten mit Gebiss habe ich beerdigt, wir reiten mit Bosal. Ausfahrten machen unserer beider Nervenkostüme nicht mit. Die PN liebt Spazierengehen – ups – weil er da nicht die Verantwortung trägt und im Notfall jemanden hat, dem er hinter laufen kann. Und das longieren oder zumindest Gymnastik an der Hand ist notwendig, damit er in Form bleibt. 

Pferde verbieten: Mensch streichelt Pferd am Kopf
Das kann keine gute Beziehung sein, schließlich wird das Pferd am Knotenhalfter gequält! Die Stellung der Ohren ist ein Zeichen von erlernter Hilflosigkeit! Und außerdem trägt es einen Spitznamen! Foto: Isabel Tomczyk Photography

Fazit

Was können wir also tun, damit die Pferdewelt ein kleines Bisschen besser wird? Unser Bestes geben und vor der eigenen Haustür kehren. Mit gutem Beispiel voran gehen – so gut wir eben gerade sind. Uns weiterbilden, dazulernen uns informieren und im Gespräch bleiben. Den Zweifel einladen und in Betracht ziehen, dass wir selbst uns auch irren können. Mit unseren Mitreitern sprechen, sich austauschen – und voneinander lernen. Uns den Zeigefinger sparen und auch nicht losziehen auf einen Anti-Gewaltfeldzug in der Pferdewelt, um unsere Ansichten – mit Gewalt! – durchzusetzen.

Ohne Worte: https://www.st-georg.de/news/pferde-und-leute/ludger-beerbaum-verstaendlich-machen-wie-tierfreundlich-unser-sport-bereits-ist/

Turniersport ist böse? Nicht unbedingt: https://lucamoneta.com/biografia/?lang=en

Pferdetraining ohne alles: https://www.tamingwild.com

Fünfkampfdrama: https://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/olympia-reitdrama-fuenfkampf-annika-schleu-100.html

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8 Kommentare

  1. Danke, danke und nochmals Danke! Endlich schreibt jemand aus was ich mir schon so lange denke! Ich finde die Bilder auch nicht schön, aber noch widerlicher finde ich die Arroganz der Menschen. Ich bin wahrlich nicht stolz auf die Fehler, die ich im Pferdetraining (bestimmt heute noch) mache. Aber ich denke nicht, dass man gelernter vom Himmel fällt und aus Fehlern kann man toll lernen. Diese ständige Optimierung und Besserwisserei in der Reiterei frustriert mich mittlerweile so, dass ich mir auf social media immer weniger ansehe und mich immer weniger Trainer interessieren. Ich denke jeder denkt doch er macht es „richtig“ und ich habe das Gefühl in dieser ausufernden Kritik an schier fast allem, ist man dich nur verunsichert. Aber seien wir Mal ehrlich, es sollte uns nicht die Meinung von irgendwelchen Reitern, Menschen oder Perfektionisten interessieren, sondern die der Pferde. Und um die zu hören, muss man selbst still sein können.

    • Hallo Martina, vielen Dank für den Kommentar. Ich finde die letzten beiden Sätze treffen es wunderbar auf den Punkt und dem ist nichts mehr hinzuzufügen. VG Nadja

  2. Ich kann mich dem obenen gegebenen Kommentar und vor alle Deinem Post, liebe Nadja, nur voll und ganz anschließen. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen und sollten von so vielen Menschen geteilt, verbreitet etc. werden.!

  3. Danke,danke und nochmal DANKE!
    Du hast mir so aus der Seele geschrieben!

  4. Hallo zusammen,
    Ich bin im Umgang mit meinem Pferd bestimmt oft unsicher, mache Fehler usw. Aber ich sorge aber dafür, dass er hoffentlich alles hat, was er braucht und dass meine Fehler ihn nicht allzusehr stressen. Dazu hole ich mir Hilfe vonnTrainern. Leider fühle ich mich dabei oft etwas „komisch“, weil mir wahrscheinlich nicht ganz egal ist, was andere denken. Lächeln oder Lachen die über mich? Für mich wäre es Gewalt an meinem Pferd, würde ich dem Gefühl des Ausgelachtwerdens nachgeben . Angeleitetes Training tut mir und meinem Pferd gut. LG Claudia aus Weinheim

    • Hallo Claudia, vielen Dank für deinen Kommentar. Lass‘ die anderen denken, was sie wollen, und mach‘ dein Ding. Am Ende geht es nur darum, dass es dir und deinem Pferd gut damit geht. VG Nadja

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