Eine Frage der Perspektive

Warte des Pferdes einnehmenEine Aussage, die mir immer wieder begegnet, ist folgende: „Mein Pferd steht den ganzen lieben langen Tag auf der Koppel und kann tun und lassen, was es will. Da kann es sich für die zwei Stunden, die ich da bin, ja wohl mal zusammennehmen und machen, was ich von ihm will.“ Oder: „Ich bezahle ihm Futter, Box und Tierarzt. Da wird er sich in der Reitstunde ja wohl mal benehmen können.“ So sehr solche Aussagen nach menschlicher Logik zutreffen, so sehr zeugen sie auch vom Unverständnis des Sprechers, was die Bedürfnisse und die Denkweise des Pferdes betrifft. 
Das Pferd kennt nicht die Kontoauszüge seines Besitzers und ruft die Überweisung der Stallmiete an den Pensionsstall ab. Es weiß nicht, dass der Tierarzt kommt, um es ihm zu helfen (vor allem dann nicht, wenn er ihm erst einmal Schmerzen mit Spritzen oder Einrenkmanövern verursacht). Was es dagegen sehr wohl weiß ist, dass es jetzt erstmal vom Futter und den Kumpels auf der Koppel getrennt wird, alleine mit dem Menschen zum Stall zurück muss, um sich bestenfalls unterm Reiter anstrengen zu müssen und schlimmstenfalls mit Sporen, Peitsche, Zügeln und Stimme Kommandos entgegen zu nehmen, die es nicht versteht. Statt friedlich und sicher zu fressen und sich auszuruhen, erwartet es Unbequemlichkeit, Stress oder sogar Angst. Was für den Menschen Erholung vom Alltag und Vergnügen ist (wobei, wenn man in manche Reitergesichter schaut, kann man sich schon fragen, ob Reiten Spaß macht), ist für viele Pferde das Gegenteil (Pat Parelli sagt: „If your horse is recreation for you, are you recreation for your horse?“). 

Ich weiß, ich male ein sehr schwarzes Bild hier, und ich will niemanden angreifen und auch nicht verallgemeinern. Nur löst die menschliche Perspektive keine Probleme im Umgang mit dem Pferd. Nur wer die Perspektive des Pferdes einnimmt und versucht sich in es hineinzuversetzen, deutet das Verhalten des Tieres richtig und kann es entsprechend ändern. Allein auf seine Forderungen oder sein Recht zu pochen, dass das Tier sich jetzt ja wohl mal benehmen kann (oder muss), hat noch kein Problempferd bekehrt. 

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