Emotional fit – nur wie?

Es passiert mir immer wieder und ich ärgere mich, kann es aber nicht immer verhindern: Ich verliere die emotionale Kontrolle und muss mich beherrschen, meinen Frust/Ärger/Ungeduld nicht am Pferd auszulassen. 
Zurzeit ist meine Frusttoleranz relativ gering. Es fängt schon mit dem Weg zum Pferd an, denn die Koppel gehört nicht in meinen Freundeskreis. Sie ist nicht nur groß und steil, der Abschnitt am Waldrand, der am aller weitesten von der Grenze zur Zivilisation entfernt ist, wurde neu aufgemacht. Sprich frisches hohes Gras für die Herde. Nun ratet mal, wo die sich am liebsten aufhält?

Meine Frustration wächst, wenn mein Projektpferd – der immerhin die letzten Meter zu mir herabsteigt – in sein normales Klettertempo (ein Kopf an Kopf Kriechen mit der Nacktschnecke) verfällt, und ich ihn alle zehn Meter auffordern muss, seine Hufe zu schwingen und sich nicht ins Seil zu hängen. Noch schlimmer wird’s, wenn ich noch ein anderes Pferd mit runter nehme, das nicht nur freundlich kommt, sondern auch noch in flottem Tempo den Berg runterrutscht. Da steigen in mir so kleine Ressentimentspitzen gegen mein Projektpferd hoch. Sie gehören in die Kategorie: „Wieso musst du dich ständig ziehen lassen? Kannst du nicht einmal ein normales Tempo laufen? Kannst du nicht einmal den gesamten Weg kommen? Kannst du nicht einmal prompt reagieren ohne mehrfache Aufforderung?“

Koppel, Pferde, Emotionen
Toll für Pferde, anstrengend für Menschen: Koppeln auf
und hinterm Berg. Foto: Nadja

Weiter geht’s dann auf dem Weg zum Stall, wenn der Dicke sich hinter das andere Pferd klemmt, weil er der Meinung ist, von da hinten die Situation (und das Tempo) besser kontrollieren zu können, und ich ab und an mit meinen Armen im Spagat zwischen zwei gespannten Führseilen einen ziemlich guten Cartoon abgebe. Auch nervig: dieses ständige Kopfschlagen und nach Bremsen beißen, was sich auch wieder auf den Führstrick auswirkt. Ist der zu kurz, kugelt mir das plötzliche Ziehen manchmal fast die Schulter aus. In diesen Situationen schätze ich den Koppelkumpel, der flott unterwegs und immer nah an mir dran ist. Und dann fange ich an zu vergleichen, und mein Hals auf den Projektwallach wird dicker und dicker. 

Was natürlich total ungerecht ist, weil auch sein Koppelkumpel Eigenschaften hat, die nerven können. Wenn ihm etwa eine Bremse an der Schulter sitzt und er einem diese Schulter mit Schwung gegen die Brust reibt (der Projektwallach rückt dann nur ein Stück näher, grunzt und demonstriert seine Schulter). Wenn er, hält man ihm ein Leckerli hin, nicht nur das Leckerli, sondern gleich den ganzen Arm bis zum Ellenbogen mitverschluckt. Wenn er beim Putzen nicht stillstehen kann, weil die Versuchung zu groß ist, die Nase in den spannenden Gegenständen zu vergraben, die da am Haken vor der Nachbarbox hängen. 

Die Charaktere sind eben unterschiedlich, und was wir bei einem Pferd in einer Situation schätzen, nervt uns beim anderen in einer anderen. Ich glaube, das ist irgendwie ziemlich natürlich. Und das meiste von den oben genannten Frust erhöhenden Faktoren lässt sich bestimmt auch raustrainieren (bis auf Bremsenattacken). Schließlich lege ich ja Wert darauf, die beiden nicht am gespannten Führstrick zu führen und und und. Aber ab und an würde ich die Eigenschaften der beiden gerne extrahieren und in angemessenen Portionen neu verteilen – etwas mehr Go ins Projektpferd, etwas weniger Zappel ins andere. Da das außerhalb meiner Möglichkeiten liegt, bleibt wohl nur wieder ich übrig, an der ich arbeiten muss und kann.

Deswegen meine Frage an euch? Wie behaltet ihr euch unter Kontrolle, wenn euch etwas kontinuierlich ärgert? Habt ihr Strategien?


Nicht, dass ihr jetzt denkt, ich schlage die Pferde, sobald mir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Ich glaube, in den meisten Fällen (leider noch nicht alle) habe ich meine Handlungen unter Kontrolle. Nur eben nicht die Emotionen. Und an denen würde ich gerne arbeiten, da die Pferde sie ja deutlich spüren. 
Emotionale Fitness ist, fragt man die einschlägigen Horsemen und seinen gesunden Menschen- und Pferdeverstand, eine der wichtigsten Eigenschaften. Wie gut, dass man sie trainieren kann.

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7 Kommentare

  1. Liebe Nadja,
    ich weiß mal wieder genau was Du meinst. Obwohl ich bei Soudi ja noch so ziemlich die rosarote Brille auf habe, gibt es Situationen in denen ich auch mit kippenden Emotionen kämpfe. Als wir immer wieder Probleme mit dem Hufegeben hatten zum Beispiel. Ich wusste: Das hat alles schonmal besser geklappt und er kann das eigentlich auch. Dann liegt der Gedanke nahe, dass er nur gerade keinen Bock hat und man vergisst, dass er dazu ja durchaus auch ein Recht hat. Statt sich bewusst zu machen, dass er das nicht tut um mich zu ärgern, bin ich dann manchmal auch ungeduldig oder gar sauer geworden. Ich denke so ganz kann man das wohl nicht abstellen oder verhindern. Es kommt darauf an wie man damit umgeht. Ich denke damit, dass wir realisieren was passiert und uns darüber bewusst sind, dass das nicht richtig ist, sind wir schon auf einem guten Weg. Bei mir reicht inzwischen meistens, wenn ich die Situation auflöse, zwei Schritte zurücktrete und tief durchatme. Dann muss ich meist schon über meine Emotionen lachen, weil ich weiß, dass sie völlig sinnlos sind. Und ansonsten versuche ich meine Gelassenheit zu trainieren. Ich vermeide es mit Zeitdruck zu Soudi zu fahren (das geht natürlich nicht immer, hilft einem aber sehr bei einer entspannten inneren Einstellung). Dann ist es mir nämlich auch egal, ob er schnell mitkommt oder erst beim fünften Anlauf die Hufe gibt. Ich habe Zeit und bin inzwischen meist soweit, dass ich tatsächlich für den Augenblick da bin und nicht für irgendein Ziel, dass ich erreichen möchte. Natürlich habe ich Ziele, aber in dem Moment ist es eben nur der nächste Schritt Richtung Putzplatz. Uns Menschen fällt es wahnsinnig schwer einen solchen Zustand aufrecht zu erhalten, weil wir mit unseren Gedanken eigentlich ständig in der Zukunft oder der Vergangenheit festhängen. Das zu trainieren ist eines meiner primären Ziele. Mir hilft Yoga dabei, Mark Rashid schwört ja auf Aikido… 🙂 Meine besten Lehrer sind aber Soudi und meine beiden Kater. 😉 LG, Sophie

    • Oh ja, Zeitdruck ist der Feind der guten Beziehung. Weil man sich auf viele nette Situationen gar nicht richtig einlassen kann. Natürlich kann man sich das nicht immer aussuchen, aber wenn ich in meinem Alltag schon ein Pensum durchziehen muss, will ich das nicht auch noch im Stall in der Freizeit müssen. Ich verplempere eigentlich viel zu viel Zeit im Stall, aber auf der anderen Seite ist die da gut angelegt. 🙂 Und es stimmt auf jeden Fall: Im Jetzt sein lernen wir am besten immer noch von den Pferden. Die machen nix anderes. VG!

  2. Ich finde Yoga auch super. Mein Freund Faxe, der Tinker, ist mein Meister und absolutes Vorbild. Beeindruckend, wie unerschütterlich er fressen kann. Und mit welch stoischer Ruhe er seine Besitzerin ignoriert. Und nein, um der Frage vorzubeugen, er kennt den Dicken nicht und hat auch kein Yoga-Buch geschrieben. Das wäre ihm zuviel Stress, sagt er 😉

    LG
    Dein Pfridolin

    • Yoga hab ich auch mal versucht. Das hat bei mir aber eher Aggressionen geweckt als gemildert 🙂 Wobei, unerschütterlich essen kann ich auch. Vielleicht sollte ich mich mal austauschen mit dem Tinker 🙂

  3. Huhu Nadja,

    schön, dass es nicht nur mir so geht 😉
    Ich bin von der Grundtendenz ein ziemlich ungeduldiger Mensch, wenn ich dann mit so einem zähen Pferd arbeite wie du es beschreibst brodelt es auch schnell mal in mir.
    Wie Sophie schon sagt hilft es mir dann auch oft, wenn ich mal einen Schritt weg von der Situation mache und mich frage wo die Ungeduld herkommt. Das reicht manchmal schon, denn oft liegt es gar nicht unbedingt am Pferd, sondern weil ich unterbewusst gerade an etwas anderem zu knabbern habe.
    Wenn das nicht hilft ist es bei mir auch Yoga mit dem ich mich beruhigen kann 😉
    Und wenn gar nichts geht breche ich die Arbeit mit dem Pferd für den Tag ab. Mit Wut im Bauch kriege ich sowieso nichts ordentliches hin und das Pferd macht dann meistens auch dicht. Dann kann ich es auch gleich lassen und uns beiden den Ärger sparen.
    Ich finde es ist ganz normal, dass man ab und an nen schlechten Tag hat, wir sind nun mal keine perfekten Maschinen…

    Liebe Grüße, Christina

    PS: hatte auch schon mit sehr anstrengenden Koppeln zu kämpfen – sieh es als aufwärmen vor dem reiten 😉

    • Oh, wie kriegst du Yoga auf die Reihe? Ich hoffe ja immer noch auf Tipps, die eine Yoga-Gescheiterte (=ich) zurück in die Spur bringen 🙂 Ich schaffe es einfach nicht, meinen Kopf zu fokussieren. Was die Koppeln angeht, hast du auch Recht: Ich brauche im worst case eine gute halbe Stunde um im Sommer mit Pferd in den Stall zu kommen – da braucht man dann eigentlich keine Schrittphase mehr.

  4. Pingback:"Geh jetzt. Du nervst!" | Pferde verstehen

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