Mehr Qualität fürs Pferdeleben

Jüngst wurde auf Facebook ein Video geteilt vom Gut Aiderbichl, das ein altes Schulpferd aus seinem Reitstall holt, um ihm das Gnadenbrot zu geben – die Alternative wäre nach lebenslanger Plackerei der Schlachthof gewesen. Eine tolle Aktion also. 
Das Video zeigt auch sehr deutlich, dass wir noch einen sehr langen Weg vor uns haben, bis die Mehrheit der Pferde ein Leben führt, das auch als lebenswert gelten kann.

Am Verhalten des Tieres in etwa zwei Minuten Film lässt sich sehr gut erkennen, dass dieses Pferd seit 20 Jahren darüber im Dunkeln gelassen wurde, wie die menschliche Welt funktioniert und wie es sich darin zurechtfinden kann ohne in Angst und Verwirrung leben zu müssen. Buck Brannaman hat das auf seiner Clinic in Köln letztes Jahr mit einem Schecken – ebenfalls ein Schulpferd – anschaulich demonstriert. Ein Pferd, das sein Leben lang keinerlei Qualität im Umgang mit dem Menschen erfahren hatte. Das nicht verstanden hatte, was man von ihm wollte, und aus dieser Ungerechtigkeit heraus missmutig und stur geworden war. 
Ich frage mich, was ist kompliziert daran, einem Pferd das Weichen auf Druck beizubringen? Was ist kompliziert daran, einem Pferd zu vermitteln, dass es den Menschen nicht umrennen darf und sich der Geschwindigkeit des Zweibeiners anzupassen hat? Was ist kompliziert daran, sich die Zeit zu nehmen, einem Pferd den Hänger erkunden zu lassen – und nicht erst, wenn es fahren muss, weil es gerade nicht anders geht? Das hat nichts mit Erziehungsdrill zu tun, sondern damit, dem Pferd das Leben in einer vom Menschen geprägten Umwelt zu erleichtern (ganz zu schweigen davon, dass ein erzogenes Pferd auch das Leben des Menschen erleichtert).

Das Ergebnis sind Pferde, die beim Halftern den Kopf senken. Die sich auch am durchhängenden Führseil lenken lassen. Die nicht in Menschen reindrängeln, weil sie gerade abgelenkt sind. Die nicht rückwärts aus dem Hänger fallen, weil ihnen jemand gezeigt hat, dass ein Hänger nichts Gefährliches ist, aus dem man flüchten muss und dass man auch mit Ruhe und Sicherheit rückwärts gehen kann. 

Pferde, artgerechte Haltung
Auf der Koppel mit Kumpel. Foto: Nadja

Ich bin sicher, dass dieses Pferd einen schönen und verdienten Lebensabend mit vielen Kumpels genießen kann. Aber ist es nicht traurig, dass schon ein paar Quadratmeter grasbewachsener Boden ohne andere Pferde eine riesige Verbesserung im Leben des Schulpferdes darstellen? 

Wann kommt es eigentlich beim Letzten an, dass Auslauf und Sozialkontakt zur artgerechten Haltung dazugehören? Wenn wir unsere Pferde (be)nutzen, sollte eine artgerechte Haltung das Mindeste sein. Und wenn uns das Wohl unserer Pferde schon nicht wichtiger ist als unsere eigene Bequemlichkeit: Auch wir profitieren von einem Tier, das sich frei bewegen kann: Ausgeglichene Pferde zeigen weniger Unarten und arbeiten williger mit. Wenn das nicht für Koppelgang mit Kumpels spricht, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. 

Teile diesen Beitrag!

6 Kommentare

  1. Das Grundproblem ist doch leider nach wie vor, dass Pferde oftmals eben nicht als Persönlichkeit betrachtet werden, oder? Guckst du den aktuellen Aufruf der Cavallo, welche um Storys von Privatleuten bittet mit vorher- /nachher Vergleichen und nach der jeweiligen Trainingsmethode fragt. Auch da interessiert wieder nicht, wie sich das Pferd denn generell fühlt, Hauptsache die Körpermasse und der damit verbundene Erfolg stimmt… verdrehte Welt… Allerliebste Grüße! Tanja

  2. Stimmt. Manche Maßstäbe sind fragwürdig. Für mich unter anderem auch die allgemeine Anwendung der Definition von gutem Reiten (= Pferd an der Senkrechten). Nur weil das Pferd seinen Kopf in einer gewissen Position (manchmal auch erzwungenermaßen) trägt, heißt das nicht, dass auch der restliche Körper gut eingestellt ist.

    • richtig.. und genau das ist wohl der hauptgrund, warum ich herrn pony nicht reite… erstens passt das Größenverhältnis nicht und zweitens traue ich es mir nicht zu, ihn "pferdegerecht" zu reiten 🙂 da hier auch fähige Trainer fehl am Platz sind, lass ich es also lieber…

    • Wow. Diese Konsequenz höre ich so zum ersten Mal. Hast du keinen Trainer gefunden, der für dich funktioniert? Ich weiß, wie schwer das sein kann…glaubst du nicht, dass du ins pferdegerechte Reiten reinwachsen könntest? Ich zweifle auch immer wieder und denke mir manchmal "eigentlich sollte ich es lassen". Aber dann gibt es lichte Momente und unterm Strich zahlt es sich schon aus, es zu versuchen.

    • Naja… grundsätzlich würde ich mich schon auf die Suche machen, aber da das Größenproblem ja noch dazu kommt, macht es mit dem Herrn einfach keinen Sinn. Ich würde ihm nie gerecht, weil ich rein aufgrund meiner Körpergröße im Verhältnis zu seiner nicht da einwirken könnte, wo die Hilfen eben Sinn ergeben, ohne andere meiner Körperteile zu verschieben 🙂 Aber, alles kein Problem, dafür lerne ich in der Bodenarbeit täglich neues und kann ihn wenigstens auf diese Weise gut fit halten und (das is noch besser) unsere Beziehung festigen 🙂

  3. Da hast du den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen, Nadja! Und Tash: Respekt vor deiner Entscheidung!

    Habt ein schönes Wochenende 🙂
    Euer Pfridolin

Kommentare sind geschlossen