Jüngst in einer Stunde: Wir haben eine Plastiktüte an unseren Stick gebunden, schwingen ihn vor der Pferdenase und an die Pferdeschulter. Der Mensch sagt: „Also ich hab ja manchmal den Eindruck, dass sie bei dem ganzen Desensibilisieren die Peitsche gar nicht mehr ernst nimmt.“ Und so soll es heute um Sensibilisieren und Desensibilisieren gehen.
„Was wedelt die da?“ Zeichnung: Nadja |
Gerade das Desensibilisieren gehört zum klassischen Horsemanship wie der Sperrriemen zur FN-Dressur. Generell soll das Pferd lernen, dass es gewisse Reize ruhig ignorieren kann, da sie keine Bedeutung für es haben. Auf andere dagegen – unsere Hilfen – soll es möglichst direkt und fein reagieren. Meistens sind es Geräusche oder Bewegungen, die Pferde scheuen lassen. Beim systematischen Desensibilisieren konfrontieren wir es von daher mit schwingenden, schlagenden Peitschen und raschelnden Plastiktüten. Wer jetzt denkt, „das ist doch keine Raketenwissenschaft“, liegt nicht ganz richtig.
Das richtige Timing ist essentiell beim Desensibilisieren – wer es verpasst, bringt dem Pferd schnell das Gegenteil von dem bei, was er eigentlich wollte. Außerdem ist es nicht damit getan, dass das Pferd diverse Reize ertragen kann, ohne wegzulaufen. Pferde können sich auch im Stand festmachen und einfrieren, und wir Menschen denken dann, sie sind entspannt, weil sie nicht fliehen: eine Fehleinschätzung. Das Stehenbleiben ist nur die erste Etappe auf dem Weg zum Ziel: Das Pferd soll sich trotz schlagender Peitsche und raschelnder Tüte reell entspannen. Wir wollen, dass es denkt: „Jetzt rückt die schon wieder mir ihrem langweiligen Raschelkram an. Naja, soll sie machen, ich schlafe derweil.“
„Ok, sie wedelt immer noch“. Zeichnung: Nadja |
Nur, woher weiß das Pferd, wann es denn jetzt entspannen und wann es auf unsere Hilfen reagieren soll? Wir helfen ihm, das zu unterscheiden, indem wir die Reize auf unterschiedliche Art präsentieren.
Beim Desensibilisieren schwingen wir die Peitsche oder den Stick oder die Plastiktüte in einem gleichförmigen, zügigen Rhythmus. Beides hilft dem Pferd, sich auf die Reize einzustellen und sie als unbedrohlich einzuschätzen.
Beim Sensibilisieren steigen wir mit einer kleinen Hilfe und wenig Druck ein, und steigern diese, bis das Pferd reagiert. Dann setzen wir die Hilfe aus. Arbeiten wir vom Boden, kann das Pferd auch am Einsatz unserer Hände erkennen, ob es sich entspannen oder reagieren soll: Wir haben eine Führhand und eine unterstützende Hand. Die Führhand führt das Seil. Geht das Pferd auf der rechten Hand um mich herum, ist es meine rechte Hand, auf der linken Hand, meine linke. Die andere, unterstützende Hand führt die Peitsche. Wenn wir desensibilisieren, ist unsere Führhand passiv. Sie hält das Seil und hängt herunter. Unsere unterstützende Hand macht die Arbeit mit der Peitsche. Wenn wir etwas vom Pferd wollen, heben wir unsere Führhand als erstes Signal, und unterstützen wenn nötig mit der Peitsche. Das Pferd muss sich darauf verlassen können, dass bei ruhiger Führhand nichts von ihm verlangt wird außer stillzustehen und zu entspannen, und bei aktiver Führhand die Verstärkung mit der Peitsche kommt, wenn es nicht reagiert.
Beliebte Fehler und ihre Lösungen
„Ach, lass sie wedeln.“ Zeichnung: Nadja |
– Du willst deinem Pferd zeigen, dass es vor der Peitsche keine Angst haben muss. Du wirfst ihm die Peitsche über den Rücken, dein Pferd zieht rückwärts, und du hörst auf. Dein Pferd hat nun gelernt, dass es rückwärts ziehen muss, um den Druck der Peitsche loszuwerden. Die Lösung: Dranbleiben, auch wenn dein Pferd ausweicht. Halte es nicht eng, und versuche auch nicht, es zum Stehenbleiben zu zwingen. Stattdessen, lass es ausweichen, aber folge seiner Bewegung – auch mit der Peitsche. Nimm die Peitsche weg, sobald es stehenbleibt. So lernt dein Pferd, dass es dich „abstellen“ kann, wenn es stehenbleibt. Kann es stehen bleiben, arbeite weiter, bis es die Peitsche nicht mehr als bedrohlich wahrnimmt und entspannt. Woran du das erkennen kannst, liest du hier.
– Du willst, dass dein Pferd auf den Zirkel raus und um dich herum geht. Du fängst an, wie wild mit der Peitsche zu wedeln. Dein Pferd geht ein paar unschlüssige Schritte, dann bleibt es stehen und schaut dich an. Zurecht, denn mehr Verwirrung hättest du nicht stiften können: Deine Führhand hast du nicht eingesetzt, und damit dem Pferd gesagt, dass es stehen bleiben kann. Darauf deutet auch das ziellose Wedeln mit der Peitsche hin. Aber irgendwie setzt du die Peitsche zu energisch ein – wenn auch gleichförmig – so dass du vielleicht doch willst, dass das Pferd sich bewegt? Die Lösung: Klarheit. Mit der Führhand dem Pferd die Richtung weisen, und notfalls mit der Peitschenhand unterstützen. Und es ernst meinen. Einige zögern, das Pferd als letzte Hilfe mit der Peitsche zu touchieren. Das Pferd merkt das – und sieht keine Notwendigkeit mehr, sich zu bewegen.
Kurz gefasst – darauf kommt es an beim Desensibilisieren
– Das richtige Timing
– Reelle Entspannung beim Pferd
– Die klare Trennung von Führhand und unterstützender Hand
– Die klare Trennung von gleichförmigem und steigendem Druck
Warwick Schiller arbeitet mit einem Pferd, das Angst vor einer Plastiktüte hat
Akki von Führpferd berichtet hier ausführlich über das Desensibilisieren
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Mir kommt beim Lesen gerade eine Übung in den Sinn, die ich allerdings mit dem Clicker gerade regelmäßig anwende – ich nenne sie mal "Tierarzt-Übungen". Dabei desensibilisiere ich Stellen am Körper, an denen meine Stute nur ungerne angefasst wird und sich schnell entzieht. Zum Beispiel lege ich meine Hand an ihr "Kinn" und nehme es inklusive Unterlippe in die Hand. Erst wenn sie ganz ruhig wird bestätige ich mit dem Clicker. Sie lernt dabei – ähnlich wie mit deinem Beispiel des Peitschen-Schwingens – dass es sicht nicht lohnt aufzubrausen und dass sie auch "aushalten" kann. Mit der Übung habe ich inzwischen den Kopf desensibilisiert und darf sie nun auch für längere Zeit zB an den Ohren berühren. Die klassische Übung von der du sprichst habe ich mit Faible so richtig bewusst noch nicht ausprobiert, allerdings berühre ich sie immer wieder mit zB. der Touchiergerte auch am Kopf und der Hinterhand, einfach damit sie sich nicht davor fürchten muss und sie tatsächlich als ungefährliches Hilfsmittel akzeptiert wird. Der Clickerman in Südafrika verbindet ja R+ und NHS ganz intensiv miteinander, bei dem hab ich die Desensibilisierung mit dem Peitschenschwingen auch bei mehreren Pferden gesehen. Spannende Ansätze führen dann bei richtiger Ausführung zum gleichen Ziel: Ein gelassenes Pferd das uns vertraut. 🙂 Liebe Grüße
Das stimmt 🙂 Ich wüsste zwar nicht, wie man Clickern und HS verbindet, aber das Ziel ist das gleiche. Und so wie du dein Vorgehen beschreibst, unterscheidet es sich nur darin, dass du mit Leckerli arbeitest und clickst und ich einfach den Druck rausnehme. VG! Nadja
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