Du glaubst daran, dass Pferde immer das tun, was wir wollen, wenn sie uns nur verstehen würden? Du bist überzeugt davon, dass es uns Pferde als Harmoniebedürftige Lebewesen immer recht machen wollen?
Dann lies bitte nicht weiter, dieser Text ist nicht für dich : ) Für alle anderen: In diesem Beitrag geht es darum, „Nein“ zu seinem Pferd zu sagen. Ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Mein Pferd, der Egoist
Meine Überzeugung: Pferde wollen es uns nicht recht machen. Sie wollen überleben. Sie wollen ihre Haut retten, sich nicht in Gefahr begeben, unangenehme Situationen überstehen und dann in Frieden im Schutz der Herde fressen, schlafen und spielen. Und sich fortpflanzen. Wenn diese Grundbedürfnisse erfüllt sind und/oder unsere Anforderungen dem nicht konträr entgegen stehen, dann kooperiert das Pferd. Weil es der Meinung ist, dass wir gute Entscheidungen treffen. Weil es gelernt hat, uns zu vertrauen. Weil wir Abwechslung und Stimulation in den Alltag bringen. Aber nicht, weil es als sanfte Seele mit karmischer Kraft auf die Welt kam, die ihre Erfüllung darin findet, uns Menschen auf den rechten Weg zu bringen. Was darüber hinaus eine absolut ego-zentrische Sichtweise ist.
Am Ende ist das Pferd ein Egoist. Und das ist auch gut so. Nur wer seine eigenen Bedürfnisse ehrlich kommuniziert und sie nicht aus falscher Rücksichtnahme hintenanstellt, kann ein guter Partner sein. Das gilt für Mensch und Tier. Nur dass ein Tier nicht weiß, was falsche Rücksichtnahme ist. Aber ich schweife ab.
Ich habe es in meinem Buch* vor 3 Jahren schon geschrieben und ich bin nach wie vor der Überzeugung: Wer glaubt, dass der Ungehorsam eines Pferdes immer auf dem Nichtverstehen, Angst oder Schmerzen beruht, der ist ziemlich naiv und spricht dem Pferd einen eigenen Willen ab.
Ein Pferd kann „Nein“ sagen, obwohl es genau verstanden hat, was wir wollen. Nur kommt es eben zu der Einschätzung, dass unsere Aufforderung nicht in seinem besten Interesse ist.
Jeder, der mit seinem Pferd einmal angrasen war, sollte verstehen, was ich meine.
Mensch: „Lass uns weitergehen“.
Pferd: „Da ist Gras“.
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So steht das Pferd am Wasserschlauch
Die PN hatte sich jüngst einen tiefen Macken an der Außenseite des Hinterbeins geholt. Zu der Zeit war unser langer Wasserschlauch noch nicht angeschlossen. Um die Wunde wie verordnet auszuwaschen, musste die PN deswegen nah am anderen Wasserhahn parken. Der ist mit einem kurzen Schlauchstück versehen und damit wollte ich die Jodseife abspülen.
Die PN war anderer Meinung. Aus dem anfänglichen Stehen wurde ein immer früheres Weg- und den Hintern ein Stück zur Seite Drehen oder direkt ein Losgehen. Sobald ich das Wasser anstellte, zack, rutschte der Hintern außer Reichweite.
Ein Fall von stechenden Schmerzen? Oder akute Angst vor dem Wasser? Eher nicht. Die Wunde mit der Hand, Jodseife und damit etwas Druck abzureiben, stellte nämlich absolut kein Problem dar. Und Wasser und Duschen gehören zu den großen Leidenschaften der PN. Also eher ein: „Ih, ich mag da kein kaltes Wasser am Bein“. Oder vielleicht auch ein „Das kitzelt“. Und das will man eben lieber vermeiden. Das Leben ist aber kein Ponyhof. Manchmal muss kaltes Wasser auf einem empfindlichen Hinterbein sein.
Anfangs habe ich ihn bestimmt 10 oder 15 Mal wieder zurückgestellt, wenn er ausgewichen ist. Ohne Erfolg. Und dann habe ich Druck gemacht. Oh ja. Ich habe seine Idee des Ausweichens aufgegriffen, habe ihn zügig mit Klick-Geräuschen und erhobenem Seil 180 Grad seitwärts geschickt und dann die Richtung wechseln lassen und mit genauso viel Energie wieder zum Schlauch zurück weichen lassen. Und dort gab es die Pause. Für die PN kein Spaß. Hoher Kopf, hektische Füße.
Make the wrong thing difficult and the right thing easy – Mache das Falsche schwierig und das Richtige einfach
Tom Dorrance
Sagenhafte zwei Mal habe ich korrigiert. Jetzt habe ich ein Pferd, das wie eine Eins am Schlauchende steht. Mit tiefem Kopf. Entspannten Augen. Nickendem Genick. Weichem Maul. Leicht ausgeschlaucht (soviel Detail darf sein). Er steht bequem und so lange ich es will (und würde da noch länger stehen). Wenn das Wasser sein Bein berührt, hebt er es etwas an. Das war’s.
Druck bringt Klarheit
Ich will Druck nicht dafür einsetzen, ein Pferd in den Gehorsam zu zwingen. Aber Druck ist ein probates Mittel, um ein Pferd davon zu überzeugen, dass seine Ideen vielleicht nicht unbedingt zu den besten gehören. Die Reaktion der PN nach dem Druck zeigt mit, dass er gut gewählt war, denn:
- Ich war effektiv, weil ich nun den Gehorsam bekomme, den ich haben will.
- Das Pferd weißt jetzt auch, dass dem guten Deal (freundliches Hinstellen am Waschplatz) ein nicht so guter Deal folgen kann (Stress, wenn er ausweicht) und ich bereit bin, meine Forderungen durchzusetzen.
- Das Wichtigste aber: Er hat verstanden, was von ihm erwartet wird und er kann dem ohne Probleme entspannt nachkommen. Diese Qualität des Gehorsams zeigt uns letztlich, ob wir mit dem Druck übers Ziel hinaus geschossen sind oder nicht. Würde die PN nun mit aufgerissenen Augen und hohem Kopf am Waschplatz stehen, hätte ich mit den Druck einen Gehorsam etabliert, ohne seine Bedenken zu adressieren. Dann wäre Druck nicht das richtige Mittel gewesen – sondern Geduld und ein langsameres Herantasten an was auch immer ihm Angst macht.
- Hätte ich mit meinen freundlichen, geduldigen Korrekturen weitergemacht und ihn immer wieder an den Schlauch zurückgestellt, wäre ich heute noch damit beschäftigt und könnte die Wunde nach wie vor nicht abwaschen. Geduld und Wiederholungen bringen nichts, wenn die Herangehensweise die falsche ist. Hier perfekt auf den Punkt gebracht von Liz Leighton, der Ehefrau des australischen Horseman Ian Leighton:
So, jetzt heißt dieser Blogbeitrag „Die Kraft des Neins“. Damit meine ich nicht das „Nein“ des Pferdes. Sondern unser „Nein“ zu Verhaltensweisen des Pferdes, die uns nicht passen.
Ja, wir dürfen „nein“ sagen! Und nein, unser Pferd hat uns deswegen nicht weniger lieb (sondern eher mehr, da wir endlich, endlich Klarheit bringen. Und Klarheit schafft Sicherheit fürs Pferd. Verlässlichkeit).
Erwartungen und Wünsche ans Pferd formulieren
Eine Freundin, die uns besuchte, sah die PN am Putzplatz loslaufen und zappeln und meinte sinngemäß „vielleicht hat ihm nie jemand erklärt, was er stattdessen tun soll“. Und recht hatte sie damit. Ich wartete nämlich und hoffte insgeheim, dass er vielleicht von sich aus stillstehen würde und nahm mich damit aus der Verantwortung ihm zu sagen, was ich will und was nicht. Und das beinhaltet eben auch ein „Nein“ zum Zappeln, Scharren und Loslaufen und Drehen. Das bloße Ignorieren des unerwünschten Verhaltens war nicht genug.
Natürlich nehme ich die Frustration und Ungeduld der PN wahr. Der würde lieber das Pflaster nach Grasbüscheln absuchen, seine Nase in meine Jacke stecken, die da am Pfosten hängt und schauen, was sich auf dem Hof noch so Spannendes tut. Darf er auch. Aber erst nach dem Putzen. Je klarer ich meine Wünsche formuliere (und ja, das beinhaltet Korrekturen seines Verhaltens), desto besser weiß er, was von ihm erwartet wird. Und dann kann er diese Erwartungen auch erfüllen.
Wenn wir „nein“ sagen und Grenzen setzen, dann nehmen wir das aus unserer menschlichen Perspektive gern als Einschränkung wahr. Und wer lässt sich schon gern in seinen Freiheiten einschränken. Von einem anderen. Grenzen können als Rahmen und verlässliche Regeln aber auch Sicherheit und Orientierung bieten. Beim Spazierengehen zum Beispiel sucht die PN ab und an von sich aus die Position hinter mir auf – ich habe sie etabliert, um draußen anführen zu können (mehr zum Thema Spazieren gehen mit dem Pferd kannst du hier lesen). Eine Grenze und eine Regel, die ihm offenbar ein gutes Gefühl geben können.
Muster unterbrechen
Ein „Nein“ oder ein „Aufhören! Jetzt!“ kann ein Pferd aus einem schlechten gedanklichen Muster herausholen, ohne direkt an den Ursachen zu arbeiten. Manchmal ist es wichtig, diese Negativspirale zu durchbrechen, bevor sie sich noch höher schaukelt.
Don’t let him be wrong for so long – Lass‘ ihn nicht so lange das Falsche tun
Pat Parelli
Etwa, wenn sich das Pferd an der Longe in den Renngalopp hochheizt. Oder, wenn es sich auf dem Spaziergang irgendwo festglotzt und dabei ist, in maximale Erregung zu geraten. Ein Cut in Form eines „Nein“ durchbricht die Verhaltensmuster und bringt das Pferd auf andere, zuträglichere Gedanken. Wie das zu realer Entspannung beitragen kann, kannst du hier lesen. Unser „Nein“ wird damit zu einer Chance, dem Pferd zum Umdenken zu verhelfen. Im Best Case lernt es damit, dass wir ihm helfen, sich besser zu fühlen und dass unsere Anforderungen nicht dramatisch und in seinem Sinne sind.
Ich sehe es bei der PN immer wieder: Wenn er kann wie er will, wandern seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit sehr schnell. Er findet immer etwas, was sich anzuschauen lohnt und damit ist er mental anderswo. Wenn ich nicht interveniere, dann geht das genauso weiter. Wenn ich ihm aber einen Job gebe und damit „nein“ sage zu seinem Aufmerksamkeitsdefizit, helfe ich ihm, bei mir zu bleiben, sich zu konzentrieren und besser zu fühlen. Und am Ende wartet wieder die Entspannung.
Gabi Neurohr, eine Pferdetrainerin aus Frankreich, hat es in einem ihrer Videos auf den Punkt gebracht. Unsere Bedürfnisse und Wünsche sind genauso wichtig wie die unserer Pferde. Wieso zögern wir dann, unsere Anforderungen klar zu formulieren und auch zu erwarten, dass das Pferd gehorcht und mitarbeitet? Vermutlich, weil in vielen von uns noch diese Tendenz schlummert, es dem Pferd rechtmachen zu wollen.
Um den Bogen zum Angrasen zurück zu schlagen: Wir müssen unsere Anforderungen nicht immer begründen („komm bitte von der Straße, da fährt ein Traktor“. „Hör bitte auf Gras zu fressen, du hattest heute schon 30 Minuten Fresszeit“). Wir dürfen Gehorsam auch einfach mal einfordern und uns nicht den Kopf über Ursachen zerbrechen. Denn, um beim Gras zu bleiben, Ursachenbekämpfung der Graslust dürfte sich schwierig gestalten. Gras ist immer lecker. Die Lösung, um nicht mit verlängertem Arm von Büschel zu Büschel gezogen zu werden, besteht darin, dass das Pferd verstanden hat, dass ein „Nein“ auch „Nein“ bedeutet. Und dass manchmal Dinge von ihm erwartet werden, die es akzeptieren muss – auch wenn es anderer Meinung ist.
Warum zu viel Rücksichtnahme schädlich ist – der meistgeklickte Beitrag hier auf dem Blog.
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