Gebiss-Irrsinn – Was mir nicht ins Pferdemaul kommt

Eine Reiterin flucht, weil sich ihr Pferd nicht trensen lässt. Das Pferd soll sich nicht so anstellen, findet sie. Immerhin ist das Gebiss einfach gebrochen (und damit nicht so scharf). Ja. Aber nicht nur das. Es hat nämlich noch zwei Stangen links und rechts dranhängen.

Diese Kombination (gebrochenes Mundstück mit Hebelwirkung) gibt es in verschiedensten Ausführungen – bei uns gebräuchlich ist die Variante der sogenannten Pelham-Gebisse.
Was mich erschüttert, ist die Unkenntnis hinsichtlich der Wirkungsweise. Hier werden zwei Gebissfunktionen kombiniert, beide sind aber nicht getrennt voneinander ansteuerbar. Das macht dieses Gebiss für das Pferd megafies.

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Die einfach gebrochene Trense. Bild: Nadja

Man denke an die gewöhnliche, einfach gebrochene Trense. Da liegen zwei Metallteile im Pferdemaul, der linke Zügel steuert das linke, der rechte Zügel das rechte Metallstück an (ein doppelt gebrochenes Mundstück verwässert diese Trennung von links und rechts). Entsprechend lässt sich mit diesem Gebiss gut lateral arbeiten – Stellung im Genick abfragen, Flexion im Hals (wie es die Westernreiter tun), und prinzipiell dem Pferd vermitteln, dass eine Seite mehr angesprochen wird als die andere.
Schaut man sich ein klassisches Hebelgebiss an (etwa eine Dressur- oder Westernkandare), ist das Mundstück eine Stange. Es ist nicht dafür gemacht, die linke oder rechte Maulhälfte anzusprechen. Wenn die Zügel (die idealerweise einhändig geführt werden) angenommen werden, dreht sich die Stange im Maul, über die Kinnkette entsteht Druck am Kiefer und über die Verschnallung Druck im Genick. Der ist nicht ein-, sondern beidseitig. So ist die Kandare dazu gemacht, dem Pferd zu sagen, dass es seine Kopfhaltung verändern soll – also mehr Nachgeben im Genick, mehr Aufrichtung oder mehr Tiefe und Vorwärts-Abwärts.

Die Wirkweise der Trense ist lateral, die der Kandare vertikal.


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Als Reiter würde ich das strikt trennen wollen. Und genau das geht mit dem Kombinationsgebiss verloren. Wenn ich am Zügel ziehe, dann spreche ich nicht nur das entsprechende Trensen-Teilstück im Pferdemaul an, sondern betätige gleichzeitig den Kandaren-Hebel.

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Das Tom Thumb Bit: ein gebrochenes
Maulstück mit Hebeln. Bild: Nadja

Es ist meiner Meinung nach unmöglich, mit so einem Gebiss differenzierte Hilfen zu geben. Deswegen benutzt es auch kein erstzunehmender Ausbilder: In der Dressur geht die Kandare mit der Unterlegtrense einher – getrennt anzusteuern (wobei manche Zügelführungen das behindern).
Die klassischen Reiter, die ihre Pferde auf blanker Kandare arbeiten, kommunizieren die laterale Einwirkung (wie Stellung und Biegung im Genick) über den Sitz oder über das Anlegen der Zügel an den Hals. Sie brauchen die Trense nicht mehr.

Im Englischen heißt die Art des Kombinations-Gebisses Tom Thumb Bit.
Eine differenzierte Analyse, warum es so unsinnig ist, hat Mark Rashid geschrieben.
Rick Gore schimpft in diesem Video über das gleiche – weniger fundiert, aber dafür sehr deutlich in der Wortwahl.

Gebiss-Experimente

Ich bin, was Gebissexperimente angeht, selbst nicht unschuldig: Ich habe meinen Projektwallach zwei Mal in einer alten mechanischen Hackamore (Anzüge so lang wie mein Unterarm) geritten. Einhändig ja, und auch im Bewusstsein, was für eine Waffe ich da dran hatte. Aber ich hätte es besser von Anfang an lassen sollen, da das Gerät nur schlecht gepasst hat. Ich wollte testen, ob ich ihn mit dem Ding das Nachgeben im Genick erleichtern kann (in Anlehnung an die Funktion einer Kandare). Die Antwort war „nein“. Ich habe dann aufgehört, weil ich mich nicht getraut habe, die Zügel mehr als ein paar Zentimeter aufzunehmen. Das Nachgeben im Genick hat er später im Knotenhalfter* gelernt. Ein weiterer Beweis dafür, dass es nicht auf die Ausrüstung ankommt, sondern auf unser Hände.


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Dann habe ich die von Parelli und Myler entworfene Cradle Bridle getestet. Problem hier: Das Mundstück war zu groß. Anders als bei einer Wassertrense muss es genau passen und darf nicht breiter als das Maul des Pferdes sein. Und auch wenn der Hebel nicht so ausgeprägt ist, auch wenn das Mundstück ähnlich wie bei einer Kandare Zungenfreiheit hat – es hat dennoch ein Gelenk. Sprich, die beiden Seiten sind getrennt voneinander ansprechbar – in Kombination mit einem Hebel.
Ich weiß nicht, ob es das so gemein wie ein Tom Thumb Bit macht (zumal Myler ja eher einen pferdegerechten Ruf hat) – aber die Ähnlichkeit ist gegeben. Der Projektwallach hat es zwei Mal getragen. Dann nicht mehr. Aus dem einfachen Grund, dass er sich geweigert hat, es erneut ins Maul zu nehmen. Tja. Das nenne ich eine Ansage.

PS: Mein persönliches Anti-Highlight ist ein Kommentar zu einer mechanischen Hackamore bei einem Pferdeonline-Shop: „Für feurige pferde optimal,da die billigen hackamore unter belastung oft reissen. Da hat wohl jemand nicht nur von Rechtschreibung keine Ahnung.

PPS: Auch immer wieder ein Zeichen von wenig Durchblick (freundlich formuliert) sind jene Leute, die ihrem Pferd ein Hebelgebiss draufschnallen, das Ganze mit einem Martingal kombinieren und es damit begründen, dass ihr Pferd ein Steiger ist. Ohne jetzt in die Mechanik einsteigen zu wollen, reicht ein Blick auf die englischen Begriffe, um sich diesen Irrsinn vor Augen zu führen. Hebelgebisse heißen allgemein überschrieben „Elevation bit“. „To elevate“ heißt etwas anheben, erhöhen, im Falle des Pferdes also den Kopf. Martingals und andere Hilfszügel werden als „tiedowns“ überschrieben – weil sie etwas (in unserem Fall den Pferdekopf) herunterbinden.
Wenn ich dem Pferd jetzt also mit der Hackamore „Kopf hoch!“ sage, mit dem Martingal aber gleichzeitig „Kopf runter!“, was genau will ich dem Pferd dann kommunizieren, außer, dass ich selbst keinen Plan habe?

Gebiss

 

 

Meine themenübergreifende Leseliste findet ihr hier.

Wenn ihr euch für die Wirkweise anderer Gebisse interessiert, ist dieser Artikel von Christina etwas für euch.

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Horsemanship erkennt man auch an der Ausrüstung, die nicht benutzt wird. Wie das aussehen kann, darum geht es in meinem Buch.

Schaut euch auf jeden Fall auch diesen Beitrag von Sustainable Dressage an. Hier werden fast alle denkbaren Gebisse genau unter die Lupe genommen.

Fritz Stahlecker hat sich intensiv mit der Kandare und ihrer Wirkung auseinander gesetzt: Hier findet ihr die Texte, Teil 1 und Teil 2. Im zweiten Dokument schreibt er genau, was auch ich meine:

„Für die Bestimmung der Beizäumung ist die Kandarenstange das beste Instrument. Das beste Instrument für die Einstellung der Seitenbiegung ist die Trense. Dank ihres Gelenks sind mit ihr ohne Kippmoment einseitige Zügelanzüge möglich.“

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7 Kommentare

  1. Liebe Nadja,
    ich bin heute über deinen Blog gestolpert und fand diesen Artikel sehr interessant. Mir ist noch nie in den Sinn gekommen, wie schwachsinnig das ist. Gut, ich habe auch nie wirklich solche Gebisse benutzt, weil ich glaube, dass so "scharfe" Gebisse einfach nicht nötig sind. Aber so sinnvoll erklärt hat mir das noch niemand. Da habe ich doch heute wieder mal was gelernt, danke dafür!
    Liebe Grüße
    Nina

  2. wow das wusste ich ja gar nicht 🙂
    Dankeschön

  3. Pingback:Das Todbringende Knotenhalfter | Pferde verstehen

  4. Hallo, ein großes Kompliment und eine sehr informative super Seite, die ich schon viel empfohlen habe. Kennst du die neuste Studie, dass die Hebelgebisse kaum(unbedeudent) auf das Genick gehen und nicht mehr, als einfache Gebisse? Somit nicht die Wirkung haben wie erwünscht. – schade dass ich mir das nicht abgespeichert habe. Ich denke mit viel GLück kann man es googeln. – Jedenfalls vielen Dank für die Infos.

    • Hallo Christiane, danke für Lob und Kommentar 🙂 Ich habe von der Studie gehört, habe aber nichts zu dem Thema gelesen (aber auch noch nicht aktiv gesucht). Wenn ich mir eine Kandare anschaue, dann ist der Oberbaum ja am Backenstück befestigt und der Zügel am Ende des Unterbaums. Ziehe ich jetzt am Zügel, führe ich den Unterbaum nach hinten und der Oberbaum rotiert nach vorn. Da der am Backenstück hängt, wirkt sich die Bewegung auf den Nacken aus. Das war mein Stand der Dinge, ich finde das auch ziemlich logisch – kann aber natürlich nicht wissenschaftlich belegen oder widerlegen, wie der Druck genau aussieht. Ich werde mal schauen, ob ich die Studie irgendwo finde. Vor ein paar Monaten gab es auch mal eine Studie, dass Martingals die Wirkung der Reiterhand im Maul abmildern sollen. Wie das funktionieren soll, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären. Weil das Martingal, nimmt das Pferd den Kopf hoch, ja dafür sorgt, dass das Gebiss schön auf die Zunge gezogen wird und nicht auf die Mundwinkel. Was die Wirkung des Gebisses nicht mildert, sondern verschärft. Und da wir’s gerade davon haben: Meine „Lieblingsargumentation“ für den Sperriemen ist, dass er die Wirkung des Gebisses abmildert, weil er den Druck gleichmäßig übers Maul verteilt. Dafür möchte ich gern mal eine schlüssige physikalische Erklärung. 😀 Unterm Strich hab ich so meine Probleme mit „Studien“, weil die Anzahl der Pferde häufig sehr gering und die Ergebnisse nicht aussagekräftig sind. Ich bin gespannt, ob man von der Kandaren-Studie nochmal was hört. Und wer weiß, vielleicht ist unser heutiges Wissen in ein paar Jahren überholt. VG!

  5. Pingback:Das Garrocha-Dingens - Pfridolin Pferd

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