Loslassen (können) ist so eine Sache.
Im Horsemanship ist das Loslassen aus mehreren Gründen wichtig.
Zum einen erhält das Pferd durch das Nachlassen des Druckes, dem Aussetzen der Hilfe und dem Loslassen des Menschen die direkteste Rückmeldung, dass es etwas richtig gemacht hat. Unser Nachgeben versteht es als „super, danke, genau das, was ich wollte“.
Zum anderen lassen wir los, damit das Pferd Fehler machen und aus ihnen lernen kann. Wenn wir immer nur festhalten, dann verhindern wir, dass das Pferd uns die Wahrheit sagt. Wir versuchen, Missverständnisse oder Gegenwehr im Keim zu ersticken, statt sie rauszulassen und sie dann zu adressieren und zu lösen.
Das Führen am langen Seil – das Loslassen des Pferdekopfes – ist also mit das erste, was ich meinen Schülern nahelege.
Doch das Loslassen umfasst noch so viel mehr
Wenn wir zum Beispiel in der Halle oder auf dem Platz unterwegs sind, dann lenken wir unsere Pferde kontinuierlich. Haben wir dafür als Vorbereitung nicht losgelassen, dann brauchen wir für die Steuerung jede Menge Hilfen und erfahren vom Pferd Gegenwehr. Mit dem Loslassen hier meine ich nicht, dass man dem Pferd die Zügel lang lässt und nur mit Gewicht und Sitz lenkt. Sondern, dass man zunächst einmal loslässt um zu schauen, wo das Pferd gerne wäre. Wir geben also die Kontrolle auf, jeden Schritt und jede Richtung bestimmen zu müssen und folgen erst einmal dem Pferd und dessen Vorstellungen (dieses Konzept habe ich ausführlich hier schon einmal beschrieben). Erst danach präsentieren wir unsere eigenen. Wir erleichtern es dem Pferd ungemein, uns gern zu folgen, wenn wir ihm vorher erlaubt haben, seine Ideen auszuprobieren – und dafür müssen wir loslassen: unseren Kontrollzwang und auch die Zügel.
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Wir sind jüngst in der Halle mit dem Halsring gehüpft (springen wäre ein zu großes Wort – und mit Sattel!). Halsringreiten lehrt das Loslassen – weil wir keine andere Wahl haben. Natürlich können wir uns auch am Halsring festhalten. Aber die Wirkung aufs Pferd ist eine völlig andere, wenn keine direkte, körperliche Verbindung zu seinem Kopf in Form von Zügeln besteht. Ohne Mittel in der Hand, um es durch körperlichen Druck auf andere Ideen zu bringen beziehungsweise um „uns durchsetzen“ zu können, brauchen wir sein Einverständnis – und müssen manchmal Kompromisse eingehen:
Wir traben auf dem Zirkel linke Hand, nähern uns X und statt auf dem Zirkel weiter zu traben, wechselt Paledo in die andere Richtung. Wenn ich ihn zurück lenken wollte, wäre das erst einmal mit Uneinigkeit verbunden, vielleicht zögert er etwas, meinen Hilfen nach links zu folgen und ich sitze aus dem Gleichgewicht. Also habe ich meine Idee des nach links Gehens verworfen und bin im nach rechts gefolgt, wieder im Gleichgewicht und geschmeidig.
Wenn ich auf dem Pferd aus dem Gleichgewicht gerate, dann ist der Grund eigentlich immer, dass das Pferd in eine Richtung will und ich in die andere: Dieser unschlüssige Moment, wenn es noch nicht sicher ist, in welche Richtung die Reise gehen wird, mein Körper sprichwörtlich in der Luft hängt und dann fast den Anschluss verpasst, wenn es weitergeht. Da tue ich mich schwer mit dem Loslassen der alten Richtung.
Deswegen ist es immer mein Ziel, dass das Pferd und ich in die gleiche Richtung denken und uns entsprechend in die gleiche Richtung bewegen (Wie sich das anfühlt, habe ich hier schon einmal beschrieben). Auch dafür ist Loslassen (können) die Voraussetzung.
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Gedanken, Vorstellungen, Druck loslassen
Loslassen kann man nicht nur etwas, das man mit den Händen festhält, sondern auch mit dem Kopf: seine Erwartungen. Die behindern oft unseren klaren Blick auf die Dinge. Denn eigentlich könnten wir uns an den kleinen Schritten erfreuen. Weil wir aber einen Durchbruch oder gleich schnelle Ergebnisse erwarten, werden wir enttäuscht, wenn die Realität dahinter zurückbleibt. Obwohl sie für sich allein genommen und nicht im Vergleich mit unseren Erwartungen Grund genug zur Freude wäre.
Seit ich nicht mehr in Konkurrenz zu meinen Erwartungen beziehungsweise unter deren Druck handele („das muss doch jetzt, schließlich will ich“), bin ich nicht nur für die Pferde zu einem angenehmeren, klareren Menschen geworden, sondern auch insgesamt zufriedener.
Seine Erwartungen gehen und loszulassen bedeutet übrigens nicht, sich nichts mehr vorzunehmen und keine Ziele mehr zu haben. Es bedeutet nur, sich vom Druck freizumachen, diese Ziele jetzt, morgen oder in einer gewissen Zeit erreichen zu müssen. Es bedeutet, das anzunehmen, was kommt, mit ihm umzugehen und es so zu formen, dass wir beim nächsten Mal von einem besseren Startpunkt loslegen können – um unseren Zielen näherzukommen und sie zu erreichen. Wer mit Pferden zu tun hat, weiß: Unter Zeitdruck muss man gar nicht erst anfangen.
Warwick Schiller sagte einmal sinngemäß, dass wir vom erwünschten (erwarteten) Ergebnis Abstand nehmen und uns stattdessen auf das konzentrieren sollen, was wir jetzt im Augenblick tun können. Wenn wir das korrekt ausführen, bringt uns das wiederum dem Ziel näher.
Das gibt uns außerdem nicht nur unsere Handlungsfähigkeit zurück und lässt uns nicht vor Ärger oder Enttäuschung erstarren. Sondern gleichzeitig fokussieren wir auf das, was im Moment für unser Pferd wichtig ist – so werden wir zu besseren Pferdemenschen und besseren Anführern fürs Pferd.
Anfang der Woche haben wir mit einem Jungpferd gearbeitet und wollten kommunizieren, dass es seine Vorderfüße auf eine schmale Wippe stellt. Das war in der Umsetzung gar nicht so einfach – erst untersuchte der Wallach die Wippe mit der Nase, dann teste er sie mit den Beinen an. Und dann verlor er das Interesse an ihr und stiefelte einfach drüber. Unsere Versuche, ihn mit Gassen etwas zu begrenzen waren auch nicht besonders erfolgreich, weil sie seine Aufmerksamkeit von der Wippe abzogen. Wir haben es mit zur Wippe schicken und auf die Wippe führen probiert.
Das alles hätte irgendwie frustrierend sein können. War es aber nicht. Aus dem Blickwinkel der Zielerfüllung hätte man bis kurz vor Schluss der Einheit sagen können „na ja, viel getan hat sich da ja nicht“. Schaut man sich aber an, wie sich der Wallach mit uns und der Wippe auseinandergesetzt hat, dann war die halbe Stunde super investierte Zeit: Er hatte keine Angst, erkundete das Teil, hatte schnell raus, das bei der Wippe ein guter Ort ist; er ließ sich auch, als ich seine Energie hochgefahren habe, um ihm das Steigen über die Wippe unbequemer zu machen (ich habe ihn in den Trab geschickt), leicht wieder herunterfahren.
Er folgte kontinuierlich einem sanften Gefühl auf dem Seil in alle Richtungen und akzeptierte, dass man ihn direkt am Halfter lenkte (was anfänglich mit Unwillen und Befreiungsversuchen einherging). Er ließ sich von seiner rufenden Herde nicht ablenken und stand still und zufrieden mit uns auch ohne Seil. All das sind für mich Gründe zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd. Ach ja: Am Ende stand er dann doch auf der Wippe 🙂 Nur mit einem Fuß – aber der erste Schritt ist gemacht.
Sophie schreibt hier, dass wir auch Geduld mit uns selbst haben sollten.
Melanie schreibt hier über Vertrauen
- Jacobs, Ross (Autor)
- Müller, Nadja (Autor)
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