Wenn mein Pferd im Schritt am langen Seil nicht flüssig und ohne zu zögern über eine Stange steigen kann, was sagt mir das über seine Fähigkeit am Sprung?
Wie jetzt, könnte man meinen, ist die zu doof, ihr Pferd über eine Stange zu schicken? Nicht ganz. Natürlich steigt das Pferd über die Stange, wenn man genug Druck macht. Genauso geht es dann aber auch über die Sprünge – gestresst, schwer zu kontrollieren und mit der Tendenz zu überspringen.
Vorab: Ich bin kein Experte im Springen (eher das Gegenteil. Ich kann es nicht, der Projektwallach kann es. Ich steuere das Hindernis – also das Hüpferchen – an, und er kümmert sich um den Rest). Aber mir geht es eher um die Psychologie dahinter, und darum, wie sich Probleme im Großen schon in den kleinen Details abzeichnen.
Es gibt da dieses Zitat von Ray Hunt oder Tom Dorrance, glaube ich. Der sagt: „Make your idea to your horses idea“. Will ich dem Pferd Selbstvertrauen am Sprung (an der Stange) geben, dann versuche ich, dieses Zitat in die Tat umzusetzen.
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Zunächst mal die Herangehensweise, wie es nicht funktioniert:
Ich lasse das Pferd also am langen Seil* um mich herumgehen. Auf dem Kreisbogen liegt eine Stange. Das Pferd bleibt vor der Stange stehen. Ich hätte aber ganz gern, dass es weitergeht. Unsere Ideen könnten also unterschiedlicher nicht sein.
Bei der nächsten Runde hebe ich kurz vor der Stange vorsorglich die Peitsche und fange an, das Pferd zu treiben – auch wenn es noch gar nicht gezögert hat. Das Pferd steigt über die Stange, aber sein Widerstand ist offensichtlich. Zwar macht das Pferd jetzt, was ich von ihm will. Aber seine eigene Idee ist das nicht. Ich habe nur verhindert, dass es seine Idee ( = Stehenbleiben) umgesetzt hat. Ich habe ihm nicht geholfen, meine Idee zu verstehen.
Für uns ist so eine Stange auf dem Boden (vor allem für ein Springpferd) ein lächerliches Hindernis. Für das Pferd kann es dagegen eine echte Herausforderung sein – nicht körperlich, sondern mental und emotional. Das wird spätestens dann überdeutlich, wenn es sich erschreckt, aufgeregt galoppiert – und alles tut, um die Stange zu vermeiden. Oder alternativ mit einem Satz darüber springt, der für einen M-Oxer gereicht hätte.
Mit einer Stange kann man viele interessante Dinge anstellen. Foto: Nadja |
Und jetzt die Herangehensweise, die ich bevorzuge:
Dieses Mal liegen zwei Stangen auf dem Kreisbogen, etwa einen Viertelkreis voneinander entfernt. Ich schicke das Pferd wieder am Rope* auf den Zirkel und nehme mich zurück: Um einen Eindruck zu bekommen, wie es zu der Stange steht, muss ich mich herausnehmen und das Pferd machen lassen – ohne Einwirkung. Das Pferd geht auf die Stange zu, bleibt vor ihr stehen. Vielleicht senkt es den Kopf oder fängt an, mit dem Fuß zu erkunden: perfekt. Tut es nichts, frage ich an, ob es sich mit der Stange auseinandersetzen kann. Spüre ich Widerstand oder Zögern, dann leite ich einen Richtungswechsel ein und schicke das Pferd zur anderen Stange.
Es geht also zwischen den Stangen hin und her. Ich teste immer mal wieder an, ob ich vom Pferd verlangen kann, sich die Stange anzuschauen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Vielleicht dreht es den Kopf weg – dann habe ich zuviel Druck gemacht. Oder aber, es schiebt sich langsam nach vorn und hängt den Hals über die Stange – dann bin ich auf dem richtigen Weg.
Es geht also zwischen den Stangen hin und her. Ich teste immer mal wieder an, ob ich vom Pferd verlangen kann, sich die Stange anzuschauen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Vielleicht dreht es den Kopf weg – dann habe ich zuviel Druck gemacht. Oder aber, es schiebt sich langsam nach vorn und hängt den Hals über die Stange – dann bin ich auf dem richtigen Weg.
Das Ganze kann dauern. Man braucht Geduld. Und letztlich geht es auch nicht um diese läppische Stange da auf dem Boden. Sondern darum, dass ich dem Pferd die Zeit gebe, die es braucht, um sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Und darum, dass das Pferd weiß, dass ich auf es warte, wenn es nötig wird.
Wir arbeiten gemeinsam am Selbstvertrauen des Pferdes. Pat Parelli sagt, wenn es ums Hängerverladen geht: „Don‘t ask a trying horse to try“. Und das trifft auf unsere Situation genauso zu: Wenn das Pferd die Stange erkundet oder darüber nachdenkt, dann lasse ich das tun und nehme mich zurück. Und so wird dann allmählich meine Idee zu seiner Idee. Irgendwann steigt der erste Fuß über die Stange. Dann der zweite. Dann dauert es nicht mehr lange, und das Pferd kann im flüssigen Schritt über die Stangen treten – ohne, dass ich treibe oder Druck mache.
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Hallo Nadja,
das ist ja mal eine frische Herangehensweise. Das werde ich bei Bedarf sicher mal ausprobieren!
Ich habe noch nie so wirklich an den emotionalen Aspekt gedacht, jetzt erscheint es mir ganz logisch. Ich habe auch keine Ahnung vom Springreiten, aber einen keinen Hüpfer oder Stangen baue ich gerne ins Training (auch vom Boden aus ein). Da ist mir schon das ein oder andere Pferd begegnet, das eher unwillig über die Stange gelaufen ist. Bloß, dass mir das jetzt im Nachhinein erst richtig bewusst wird.
Interessant! Fühle mich wieder ein bisschen schlauer, Danke dafür!
Gern. Bei mir hat es vor ein paar Jahren "klick" gemacht. Da haben wir versucht, eine sehr ängstliche Stute auf eine Plane zu bekommen. Mir ging es seinerzeit zu sehr um den Erfolg (Pferd auf Plane) und zu wenig darum, wie sich das Pferd dabei fühlt. Natürlich kann man die Phasen steigern und verlangen, dass das Pferd reagiert. Das mache ich dann, wenn ich das Gefühl habe, dass es sich keine Mühe mehr gibt. Aber manchmal ist das schon zu viel. VG!
Oh das finde ich ganz toll, der Bericht kommt mir gerade recht. Ich bin selbst keine Springreiterin und eher Typ "Wie hoch war DAS denn?", obwohl mein Pferd im Grunde einen höheren Galoppsprung über das Hindernis gemacht hat! 😀
Beim Longieren habe ich letztens wieder einen "Sprung" eingebaut (im Trab gings locker drüber), und den Druck erhöht, als es darauf zu ging. Mein Pferd sprang, doch es war sichtlich maulig, weil ich ihr den Spaß verdorben hatte, noch bevor sie von alleine entscheiden konnte, aus eigenem Antrieb zu hüpfen.
Ich werd's in meine nächste Einheit mitnehmen, danke Nadja!
Gern – freut mich 😀 Es kann ein Geduldspiel sein – aber es lohnt sich dann so, wenn man den gechillten Ausdruck des Pferdes am Ende sieht und wie es immer mutiger wird.
Kann dies nicht vielleicht auch ein Ansatz sein für ein "altes Ehepaar", sprich, Pferd 25 Reiter über 50, seit über 20 Jahren "verheiratet". Pferd ist absolut unängstlich, Mensch vertraut seinem Pferd. Aber Pferd ist eine Spur ZU lax und tiefenentspannt. Und neigt zum stolpern oder zum "Hindernisse" UNTERschätzen.
Wenn ich mir vorstelle, ist stelle mich mitten in ein Stangengewirr und bedeute meinem Wallach, er möge/könne zu mir kommen… was wird er tun? Achtet er auf die Stangen/Unebenheiten? Oder latscht er drauflos. Oder weitergesponnen… Wird er – was ich vermute – latschen, wenn ich neben ihm hergehe (weil, dann habe ja ICH die Verantwortung für seine Füße)? Ein wirklich interessanter Ansatz für einen Test. Oder wie sehen Sie das?
Hm, das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass das Pferd die Verantwortung hat, wo es seine Füße hinsetzt und nicht wir. Ich glaube aber auch, dass wir ihm helfen können, ein besseres Bewusstsein für seine Beine und Hufe zu entwickeln. Ich komme gerade von einem Geitner-Kurs am Wochenende, und ich glaube, dass die blau-gelben Gassen Pferden auf jedenfall helfen, sich ihrer Bewegungen und Glieder bewusster zu werden. Soweit ich weiß, gibt es auch bei Tellington-Jones Körperbänder und Abstreichtechniken, die helfen das Bewusstsein zu schulen. Ich glaube, damit würde ich mich auseinandersetzen. Reine Bodenarbeit mit Stangensalat (also einen Test ist es auf sicher Wert) kann helfen, setzt aber nur begrenzt am Körperbewusstsein an. VG! Nadja
Sehr schön geschrieben und gut dargestellt worauf es immer wieder ankommt, auf die Geduld von der wir alle im Grunde viel zuwenig haben die aber so unglaublich wichtig ist bei der Arbeit mit Pferden und Tieren allgemein.
Ich komme aus der Springreiterei und kann sagen das der hier geschilderte Weg der erfolgversprechenste ist.
Druck, Sporen und Gerten haben in der feinen Reitweise nichts zu suchen.
Ein Miteinander statt Gegeneinander soll es sein. Nur dann gewinnen wir das Vertrauen unserer Pferde.
Beste grüße Andreas
http://www.reitcoach.eu
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