Kennt ihr das: Ihr reitet ganze Bahn, das heißt, ihr wollt ganze Bahn reiten, aber euer Pferd kürzt mit schöner Regelmäßigkeit die Ecken ab?
Oder noch nerviger: Es hat eine Terrorecke, in die es nicht nur nicht rein geht, sondern um die es einen regelrechten Bogen macht – vor allem in höheren Gangarten?
Dann seid ihr in guter Gesellschaft. Das oben Beschriebene sind jetzt zwar keine gravierende Probleme, aber nerven können sie schon.
Und natürlich gibt es auch für sie eine Lösung.
Wie so oft, ging mir vor Kurzem ein Licht auf, als ich überhaupt nicht an dieses Problem dachte und entsprechend auch nicht versucht habe, etwas daran zu ändern. Ich saß nach einer ganzen Weile wieder auf dem Projektwallach, gondelte in der Halle am langen Zügel und stellte fest, dass das Pferd von sich aus die Ecken ansteuert, und tatsächlich nicht dem (zugegeben) ausgetretenen Hufschlag folgt, sondern ordentlich in die Ecke reinläuft. Ohne mein Zutun.
Ich finde das natürlich klasse, lache und das Pferd bleibt sofort stehen – mitten in der Ecke – und fängt an, die Nase im Staub der Bande zu panieren.
Natürlich kann ich dem Wallach mit Schenkeln und Zügeln und Sitz sagen, dass er bitte nicht abkürzen soll. Er geht dann auch brav in die Ecken. Aber wie viel besser ist es, wenn er selbst anbietet, hineinzugehen und ich ihn nicht korrigieren muss?
Die simple Lösung: Reitet eure Pferde in die Ecken und lasst sie in den Ecken stehen. Lasst sie die Bande ansabbern, das Unkraut abfressen, das dort wächst oder in den Spiegel schauen. So gebt ihr ihnen einen Grund, die Ecke nicht nur zu mögen, sondern sie auch gezielt anzusteuern – schließlich könnte es darin eine Pause geben. Dann werden eure Pferde sich vor jeder Ecke fragen: „Geht es in die Ecke, gibt es Pause oder gehen wir dran vorbei?“ Statt von vornherein anzunehmen, dass es dort nichts zu holen gibt – und dann entsprechend abzukürzen, um den Aufwand gering zu halten.
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Die Schwarzen, die Ecken (die linke ist besonders schlimm) und ich. Foto: Marko |
In unserem Fall haben wenige Wiederholungen ausgereicht, um das Projektpferd auf die Ecken scharf zu machen. So wenige, dass ich total vergessen hatte, es überhaupt gemacht zu haben. Deswegen war ich auch so überrascht, dass er angeboten hat, in die Ecken zu gehen. Sobald das Pferd die Ecken mag, müsst ihr natürlich nicht mehr jedes Mal anhalten, wenn ihr dort seid. Aber immer mal wieder, damit sie ihre Anziehungskraft nicht verlieren.
Das ist übrigens auch eine tolle Strategie für die Terrorecke eurer Pferde. Meistens gibt es ja eine Ecke der Halle, die besonders gefährlich ist. In unserem Fall die vorne am Eingang. Weil da ein Stuhl steht, ein Mensch sitzt oder immer mal wieder Hunde liegen.
Der Wallach fängt also schon an zu glotzen wenn wir auf der langen Seite auf die Ecke zusteuern. Ich frage an, ob er geradeaus in die Ecke gehen kann. Wenn nicht, gehen wir an ihr vorbei und versuchen es beim nächsten Mal. Nach zwei, drei Anläufen steht er in der Ecke – und darf pausieren und den Stuhl beschnüffeln. In den höheren Gängen schaut er dann wieder – und sobald er sich in die Ecke traut, gibt es dort wieder eine Pause. Nach ein paar Wiederholungen steuert er zielstrebig die Ecke an. Da sie besonderes Schreckenpotenzial hat, machen wir hier generell vermehrt Pause.
Was ich wichtig finde: Wenn euer Pferd nicht in die Ecke gehen kann, zwingt es nicht dazu. Lasst es seinen Bogen laufen, und startet von Neuem. Oder lasst es umdrehen, wenn ihr merkt, dass die Spannung zu groß wird, und nehmt auf diese Weise Druck heraus.
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Sweet spot oder sour spot – du hast es in der Hand
Ich weiß, dass es Leute gibt, die sagen: „Der muss da jetzt durch“ oder „der soll sich nicht so anstellen!“. Ich bin der Meinung: Wenn euer Pferd wirklich Angst hat, dann macht ihr es nicht besser, wenn ihr es an der Ecke mit Sporen, Schenkel, Gerte und Zügeln noch zusätzlich stresst. Dann macht ihr sie erst recht zu einem „sour spot“, wo sie doch eigentlich ein „sweet spot“ werden sollte.
Wenn das Pferd keine Angst hat und sich dennoch weigert, umgeht ihr Streit elegant. Das bedeutet nicht, dass euer Pferd mit dem Ungehorsam, wenn man es denn so nennen will, durchkommt. Schließlich fragt ihr es immer und immer wieder und beweist damit, dass ihr dranbleibt.
Ich habe auch ein paar Mal die Geduld verloren, und dem Pferd eins mit der Gerte verpasst, wenn es mal wieder einen Bogen um die Ecke machte – es hat rein gar nichts gebracht. Er zeigt das Verhalten immer mal wieder. Wenn insgesamt etwas mehr Spannung in der Luft liegt, etwa, weil es kalt ist, dann ist diese Ecke nahezu immer das Ventil, egal auf welcher Hand man sie anreitet. Na und? Dann wiederholen wir unsere Annäherung eben wieder. Ich kann mich nicht erinnern, spätestens zur Mitte einer Reiteinheit nicht gemütlich in diese Ecke reiten zu können. Und selbst wenn nicht, bricht es mir einen Zacken aus der Krone? Ich sage: „nein“.
Es gibt da dieses Zitat von Buck Brannaman. Der sagt: „I don’t care where I start. I care where I end up.“ (Es ist mir egal, wo ich anfange. Mir ist wichtig, wo ich aufhöre). Es hat mich schon vor viel Frustration bewahrt. Buck rückt die Anzahl von Wiederholungen, die es manchmal braucht, bis ein Pferd versteht und angstfrei ist, ins rechte Licht: Hunderte, Tausende, Zehntausende. Es ist ihm egal, dass er, wenn er eine Übung wieder abfragt, manchmal den Eindruck hat, wieder bei Null anzufangen. Weil er weiß, dass es sich irgendwann auszahlt, das Pferd den Übertrag schafft und sofort von Anfang an wie gewünscht reagiert – in unserem Fall sofort in die Ecke geht. Ich habe jetzt nicht gezählt, wie häufig wir die Eckenangelegenheit bearbeitet haben, aber tausend Mal klingt schon sehr viel. Zu viel.
Bei Parelli ist diese Eckenübung ein eigenes Spiel.
Hier beschreibt Berni Zambail wie es funktioniert.
Hi Nadja, das klingt toll! Den Satz "der muss da jetzt durch" den habe ich bei Schulpferden auch schon gehört und durchgetrieben. Es war genauso wie Du hier beschreibst! Die Ecke wurde nicht besser… Ich mag diese immerwährenden Kämpfe nicht besonders und freue mich, wenn ich Artikel woe Deine lese, die einen besseren Weg zeigen. Ich werde die Ecke also bei der nächsten Gelegenheit zu einem Sweet Spot machen. Liebe Grüsse, Petra
Super! Manchmal dauert es, aber wir haben Zeit 🙂 Und am Ende wirst du für die Geduld und das Warten belohnt. VG! Nadja
Liebe Nadja,
gestern habe ich deine Übung eingebaut, weil Faible zwei der vier Ecken in der neuen Halle noch arg gruselig findet. Was soll ich sagen? Nach nicht einmal einem Durchgang hatte sie das Prinzip verstanden und trabte glücklich von Ecke zu Ecke um sich ihr jeweils hochverdientes Päuschen abzuholen. Vielen Dank für deine Anregung! 🙂
Liebe Grüße, Miri
Super, das freut mich total :D! Paledo ist auch total Ecken-fixiert mittlerweile, da muss ich fast schon schauen, dass er es nicht übertreibt.