Mit den Emotionen des Pferdes arbeiten

emotionen des pferdes

Ich freue mich und komme voller Energie zu Paledo. Der ist aufmerksam, aber nicht entspannt. Foto: Tom Haubner

Ich arbeite zurzeit mit einem Pferd, das nicht mehr jung, aber sehr sensibel und sehr scheu ist. Er ist ein gutes Beispiel für das Prinzip, dass unser Training nicht am Körper des Tieres, sondern an seinem Kopf und seinen Emotionen ansetzen sollte. Bei unserer ersten Einheit habe ihn zunächst einmal beim Führen korrigiert, als er mir beinahe in die Hacken lief. Sofort versuchte er sich loszureißen – nicht aus Trotz oder Gegenwehr, sondern weil er absolut überfordert war von meiner Ansage und das bloße „Komm mir nicht zu nahe“ (ich richte mich auf und wedele mit den Armen) zu viel Druck für ihn war. Ich konnte ihn festhalten, doch innerhalb weniger Schritte im Roundpen wiederholte sich das Ganze – und dieses Mal schaffte er es, mir das Seil aus den Händen zu ziehen. Auch beim dritten Anlauf galoppierte er mir erneut davon. Allerdings nun nicht mehr, weil ich zu viel Druck gemacht hatte, sondern weil er für sich herausgefunden hatte, dass Losreißen die bessere Wahl ist, als sich mit mit dem merkwürdigen Zweibeiner auseinandersetzen zu müssen. Ich habe keine Chance dieses Pferd festzuhalten, wenn es weg will. Und ich möchte ihm nicht beibringen, das Flucht die Antwort auf alle seine Probleme ist. Deswegen habe ich beschlossen, ihn frei im Round Pen zu arbeiten. Wo kein Seil ist, kann er mir auch nichts aus den Händen reißen.

Das Pferd lernt, dass der Mensch die Lösung ist

Die Grundlagen dieser Arbeit sehen so aus: Ich schicke ihn zunächst weg, er läuft außen herum auf dem Hufschlag. Dann trete ich ein bisschen seitwärts vor ihn, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen,  gehe zügig rückwärts und fordere ihn so auf, nach innen zu schauen und ein paar Schritte hereinzulaufen, statt außen weiter zu rennen. Warwick Schiller erklärt in diesem Video, worauf es beim „Hooking on“ (mit einer unfreiwillig komischen Situation) ankommt und in diesem hier könnt ihr es in Aktion sehen.

Bei einem solchen Sensibelchen muss man aufpassen, dass man sich richtig im Roundpen platziert und auf die Ausrichtung des eigenen Körpers achten. Komme ich nämlich zu nahe ans Gitter des Roundpen, schneide ich dem Pferd den Weg ab, es bremst auf der Vorhand und flieht in die andere Richtung. Das möchte ich nicht. Stattdessen will ich eine freundliche Einladung aussprechen, so dass er zu mir schauen und auch zu mir kommen kann. Und dafür muss ich den richtigen Tonfall treffen. Empfindsame Pferde haben wenig Toleranz für Druck – sie suchen sofort eine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Mit Druck in so einem Fall meine ich nicht, dass wir peitschenschwingend und schreiend das Pferd im Roundpen jagen. Für diese Pferde ist ein Blick zum falschen Zeitpunkt oder ein zielstrebiger Schritt schon zu viel.

Wenn unser Timing jedoch gut ist, dann lernen sie mit rasanter Geschwindigkeit. Im Falle von dem Wallach hat es 10 Minuten gedauert, bis er nicht nur begriffen hatte, dass er nicht vor mir wegrennen muss, sondern zu mir hereinkommen darf und mir folgte wie ein Hund. Er durfte weglaufen und mich meiden, so viel er wollte. Ich habe nicht versucht, das zu verhindern. Aber ich habe ihm ein besseres Angebot gemacht: Dass er bei mir bleiben, mir folgen kann und dass das bequem und sicher ist. Er hat das sehr schnell angenommen.

Paledo ist hier alles andere als glücklich.

Paledo ist hier alles andere als glücklich. Verkniffenes Maul, erhobener Hals, besorgte Augen, feste Ohren. An dem Tag fand er den Platz gruselig (das Knotenhalfter sitzt hier zu tief). Foto: Marko

Wenn das Anheben der Peitsche zu viel Druck ist

In der zweiten Einheit wollte ich daran arbeiten, dass er sich mit dem Stick berühren und abreiben lässt. Ich war anfangs viel zu zielstrebig, mit dem Ergebnis, dass er wieder mit wehenden Fahnen (das heißt wehendem Schweif) davon stürmte. Zum Glück hatte ich aus den letzten Erfahrungen gelernt und erst gar kein Seil ans Halfter gemacht, sondern gleich frei begonnen. Also habe ich ihn wieder davon überzeugt, dass er zu mir hereinkommen darf und dort Ruhe findet.

Dass ich die Lösung bin, hat er wieder sehr schnell verstanden: Er blieb auf meine Anfrage hin sofort stehen und schaute mich an. Wenn ich dann aber selbst mit abgewandtem Blick, eingedrehter Schulter und in einem leichten Bogen auf ihn zu ging, drehte er ab und lief zurück auf den Hufschlag. Also lud ich ihn erneut ein, hereinzukommen und schließlich fand er heraus, dass Stehen bleiben eine gute Option ist: Er ließ mich zu sich kommen und sich streicheln.


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Im nächsten Schritt fing ich langsam an, die Peitsche auf und ab zu heben – sofort war er wieder weg. Beim nächsten Versuch blieb er stehen, beschnüffelte die Peitsche auch mit der Nase, berühren konnte ich ihn aber noch nicht. Letztlich habe ich ihn immer wieder eingeladen zu mir zurück zu kommen, wenn er sich mal wieder entzogen hatte, und am Ende von 15 Minuten konnte ich ihn auf beiden Seiten mit der Peitsche abstreifen. Er war noch nicht völlig entspannt dabei, aber vom anfänglichen Losstürmen auf eine Bewegung der Peitsche hin zum Stehenbleiben und sich damit Anfassen lassen – das ist ein riesiger Schritt.

Was ich mit diesen beiden Beispielen sagen will: Wenn ich kein Seil habe, mit dem ich das Pferd festhalten kann, dann muss ich mit seinen Emotionen und vor allem seinem Einverständnis arbeiten. Ich muss ihn überzeugen, dass bei mir bleiben seine beste Option ist und das auch, wenn ich mit der gruseligen Peitsche wedele. Sein Wille bei mir zu sein muss größer sein als seine Angst vor dem, was da kommt. Das ist ein ziemlich schmaler Grat. Umso stolzer bin ich auf uns beide 🙂 Ich werde ihn weiterhin frei arbeiten, und schauen, wie lange es dauert, bis er völlig überzeugt davon ist, dass bei mir sein das Beste für ihn ist. Erst dann werde ich das Seil wieder dran machen – also im Prinzip dann, wenn ich es gar nicht mehr brauche.

Beschwichtigungssignale – und wie wir mit ihnen umgehen können

PS: Noch ein Hinweis zu den sogenannten Beschwichtigungssignalen.

Ich bin, was diese angeht, etwas zwiegespaltet. Auf der einen Seite ist es unheimlich wichtig zu erkennen, wann uns unsre Pferde signalisieren, dass wir zu viel Druck machen. Auf der anderen Seite muss das Pferd lernen, auch mit Druck umzugehen, der es außerhalb seiner Komfortzone bringt. Wenn wir also immer nur mit minimaler Einwirkung arbeiten, dann lernt das Pferd auch nicht mit mehr Druck umzugehen.

Und dann kann es Probleme bekommen, wenn es mit jenem Druck konfrontiert wird, denn wir Menschen nicht steuern können – das Reh, das beim Ausritt plötzlich auf den Weg springt, der Windstoß, der die Plastikfolie um die Heuballen bläht und rascheln lässt. Je besser das Pferd gelernt hat, mit Druck umzugehen, desto sicherer wird es für uns.

Bei der Einheit im Roundpen etwa versuchte mich das Pferd zu beschwichtigen: Er war ein paar Meter zu mir hereingekommen und stehen geblieben und ich ging auf ihn zu, um ihn zu streicheln. Zunächst schaute er mich an, drehte dann aber den Kopf zur Seite: Für mich das Signal „Komm bitte nicht näher, sonst muss ich weggehen“. Ich blieb also stehen, wartete, bis er mich wieder anschauen konnte und ging dann weiter zu ihm. Er blieb und ließ sich streicheln.

Es gibt Trainer, die werden sagen, dass man dem Pferd auf diese Weise beibringt, dass es uns von sich fernhalten kann, indem es einfach den Kopf wegdreht und die Kommunikation unterbindet. Weil wir in dem Augenblick den Druck herausnehmen, wenn es das unerwünschte Verhalten (das Wegdrehen des Kopfes) zeigt (hier zu diesem Thema ein Video von Warwick Schiller und die Analyse von Ross Jacobs. Sehr lesenswert!) Auch das ist wieder ein schmaler Grat.

Wir wollen dem Pferd nicht beibringen uns auszublenden. In unserem Fall aber hatte ich keine andere Wahl als Rücksicht zu nehmen – ich hatte nämlich kein Seil am Pferd, mit dem ich es vom Weggehen hätte abhalten können. Und dieses Pferd ist meiner Meinung nach auch nicht in Gefahr, falsche Schlüsse zu ziehen. Ich habe ihm lediglich bewiesen, dass ich seine Skepsis verstehe und auf ihn Rücksicht nehme. Wenn wir uns besser kennen und er völlig überzeugt davon ist, dass ich ihm nichts tue, dann kann ich beginnen von ihm zu verlangen, mehr auszuhalten. Aber da sind wir noch nicht.

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Ross Jacobs Philosophie fußt darauf, dass wir über die Gedanken des Pferdes seinen Körper formen - nicht andersherum.

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4 Kommentare

  1. Der Tonfall macht so oft die Musik, da schreibst du mir aus dem Herzen. Und trotzdem ist es so unglaublich schwer immer den passenden Tonfall zu treffen. Allein unsere Körpersprache – ich denke mir oft, dass die Pferde uns für grobe Trottel halten müssen. Mich zumindest 😉 Das was du beschreibst – also wenn wir frei trainieren, da ist wirklich was dran. Ich bin da wirklich sparsamer und vorsichtiger in meinen Signalen – habe ich vorher noch nie darüber nachgedacht. Auf jeden Fall ein toller Artikel 🙂 Danke und liebe Grüße, Petra

    • Hallo Petra, vielen Dank für Lob und Kommentar 🙂 Ich finde auch, dass Versammlung oder positive Spannung im Pferd ohne Seil leichter zu erarbeiten ist als mit Seil. Die Pferde sind irgendwie mehr im Kopf dabei und das schlägt sich sofort in die Körperhaltung nieder. VG! Nadja

  2. Wie Recht du mal wieder mit deinem Artikel hast. Ich habe u.a. auch so ein Sensibelchen und mit Seil meine ersten Wochen und Monate verbracht. Die Erfolge waren sichtbar, aber nicht zufriedenstellend. Nachdem wir nun seit einigen Wochen ohne Seil in einem RoundPen arbeiten habe ich die volle Konzentration, die Bereitschaft seinerseits mitzuarbeiten, sich mir anzuschließen und ein Pferd was gelernt hat sich selbst zu tragen und jeden Tag ein kleines bisschen an sich selbst wächst. Vor einem halben Jahr hatte ich fast alles aufgegeben und nun bin ich stolz wie Bolle auf den Herren.
    LG Clara

    P.S.: Man selbst lernt sich ganz anders kennen durch das freie Arbeiten und die Rückmeldungen sind manchmal gnadenlos, aber sehr lehrreich und lassen einen selbst ein Stück einen besseren „Horseman“ werden. Ich empfehle es jedem, wenn er die Chance dazu hat und sich selbst weiterentwickeln möchte, da diese Erfahrung sich im ganzen Umgang niederschlägt und viele kleine Dinge wesentlich leichter werden (können).

    • Hallo Clara, danke für deinen Kommentar! Ich kann mich dir da nur voll und ganz anschließen. Gerade die Arbeit im Roundpen wird ja gerne mal als Scheuchen hingestellt, aber das wird ihr einfach nicht gerecht. Wir können dem Pferd im RP das Lernen beibringen – und noch so viel mehr! VG Nadja

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