Von Toleranz und Akzeptanz – oder warum uns Ideologie nicht weiterbringt

Pferdeleute sind ein anstrengendes Volk.

Es ist noch nicht lange her, da haben mich Artikel oder Meinungsäußerungen, die Horsemanship kritisierten oder sogar als Zwangsmethode diffamierten, auf die Palme gebracht. Ich sah rot, wenn mir jemand erzählte, wie gern er mit seinem Pferd clickerte oder wie toll das Training funktioniert, seitdem er auf positive statt auf negative Verstärkung setzt. Das ist nicht mein Weg, und ich wollte die Erfolgsgeschichten von Leuten, die meine Marschrichtung nicht einschlagen, weder hören noch teilen.

Mittlerweile kann ich das gelassener sehen. Nicht, weil ich jetzt auch clickere. Sondern, weil ich akzeptiert habe, dass, was für mich richtig und schlüssig ist, nicht für alle anderen richtig und schlüssig sein muss.

 

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Viele Wege führen zum Ziel. Foto: Nadja

Wie so häufig hat auch in diesem Fall Buck Brannaman ein großes Stück zu meinem erweiterten Verständnis beigetragen. In einer Aufnahme der 7 Clinics DVDs erzählt er von seinem Lehrmeister Ray Hunt. Der mit seinem alternativen Trainingsmethoden ziemlich allein auf weiter Flur stand und von vielen Seiten regelrecht angefeindet wurde. Buck Brannaman schlussfolgert, dass Hunt von den anderen als große Bedrohung angesehen wurde – weil sie ihrer Sache doch nicht so sicher waren, wie sie glauben machten.

Und genau da liegt der Knackpunkt: Wenn wir unserer Sache sicher sind, dann kann da kommen, wer will. Wir sind überzeugt von dem, was wir tun, wir müssen uns nicht von verbalen Angriffe in die Enge getrieben fühlen oder uns rechtfertigen. Wir können von heiterer Gelassenheit bleiben und brauchen Widerstand oder schlicht eine andere Meinung nicht als Bedrohung wahrnehmen. Im Gegenteil. Wir können die konträre Meinung akzeptieren, ohne dass unsere Welt deswegen gleich zusammenbricht.
Wo Menschen sind, sind Meinungen. Wir denken nicht alle gleich. Wir argumentieren nicht alle gleich. Wir haben unterschiedliche Bedürfnisse und Schwerpunkte. Im Alltag und am Pferd.
In letzter Zeit sind mir vermehrt Texte ins Auge gefallen, die positive und negative Verstärkung diskutieren und dabei zu dem Schluss kommen, dass nur der eine Ansatz der richtige ist, der andere deswegen böse und falsch und gefährlich. Zu dem Schluss mag der Autor gern kommen. Schade nur, dass der Weg dorthin über Verallgemeinerungen führt und das Ziel des Weges der Versuch ist, das andere Lager zu konvertieren. Und schon stecken wir mitten drin im Krieg der Ideologien. Toleranz und der Versuch, den anderen und dessen Motive zu verstehen? Beide nicht in Sicht.

Ehrlich: Wenn du clickerst, und ich gehe rüber zu dir und fange an zu predigen über die großen Nachteile dieser Methode, da alle Anwender immer die gleichen Fehler machen, was dann immer und ausschließlich zu genau diesen schlechten Ergebnissen führt – wirst du mir dann noch zuhören, wenn es darum geht, zu kommunizieren, welche Alternative zum Training es gibt? Oder wirst du so sauer sein, dass du mich und mein Gezeter einfach ignorierst?
Ideologie bringt uns nicht weiter – auch nicht im Pferdetraining.

Wie wäre es stattdessen mit Akzeptanz? Mit Toleranz? Man kann überzeugt sein, das „Richtige“ zu tun und zu glauben, kann dem anderen aber trotzdem die Freiheit lassen, sich selbst eine Meinung bilden zu können. Ohne bevormunden oder konvertieren zu wollen.
Denn letztlich haben wir alle doch das selbe Ziel: Wir wollen ein gesundes, motiviertes Pferd.

Wir alle behaupten, wir lernen ja so viel von unseren Pferden. Dann könnten wir uns für künftige Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten an deren Friedfertigkeit orientieren und mit etwas mehr Demut und Respekt handeln. Respekt vor der Ansicht der anderen und deren Fähigkeit sich selbst eine Meinung zu bilden und nicht bevormundet werden zu müssen. Und Demut davor, dass es vielleicht wir selbst sind, die irren, davor, dass wir nicht alles wissen und noch viel zu lernen haben.

PS: Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin ein Freund der Diskussion und des Austauschs. Was ich dagegen nicht leiden kann, ist wenn Menschen sich zu Allwissern aufschwingen und andere von oben herab belehren wollen.

Toleranz, Pferde verstehen

Ich bin zufällig über dieses Video gestolpert. Es geht darum, sich auf „Otherness“ einzulassen, statt sie zu diffamieren.

Olaf von den Offenstallern hat etwas zum gleichen Thema geschrieben: Vorsicht vor Schwarz-Weiß-Denken.

Sophie von Chevalie schreibt hier, warum wir die Möglichkeiten des Internets konstruktiv nutzen sollten, statt uns gegenseitig fertig zu machen.

Tanja schreibt hier satirisch über Seilchenwedler und Wattebauschwerfer.

Petra von der Pferdeflüsterei hat sich Gedanken um die vielen verschiedenen Wege gemacht, die wir mit unserem Pferd einschlagen können.

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8 Kommentare

  1. Nicht ärgern 🙂 Und vorweg kann man auch Pferde nicht verallgemeinern, der eine hat es lieber, selbst entscheidungen zu übernehmen und aktiv mitzuwirken, der andere benötigt die Hilfestellung des Menschen, und ist dankbar dafür. Dass ich clickere, weisst du ja, dass ich deswegen aber ganz ohne negative Verstärkung auskomme, ist so ja auch nicht. Diesfalls ist nur mein Weg der Bestätigung ein anderer. Während du dein Pferdchen vielleicht ruhen lässt, gibts bei mir eben einen Click und nen Keks.

    Und eigentlich bin ich sehr dankbar um die ganzen unterschiedlichen Trainings-Wege, man nimmt von allem etwas mit und findet seinen eigenen, ganz speziell auf das Pferd passenden Weg.

    Schöner Post, regt hoffentlich (jawohl, auch mich) zum Nachdenken an!

    Liebe Grüße, Tanja

    • Danke! Wir haben es echt gut, zwischen verschiedenen Wegen wählen zu können – und um ab und an über den Tellerrand hinauszuschauen 🙂

  2. Hallo Nadja,

    weißt Du wie beruhigt ich war, als ich diesen Post von Dir gefunden habe?! 🙂 Ich habe meinen aktuellen Blogartikel über Natural Horsemanship (http://www.pferdespiegel.com/gedanken/parelli/) fertig und etwas Sorge mich damit bei Dir oder Petra von Pferdeflüsterei in die Nesseln zu setzen. Kommt vielleicht nicht so gut, sich als Bloggerneuling gleich kritisch zu äußern. Aber das gehört wohl auch mit dazu, also habe ich es jetzt mal gewagt und freue mich über konstruktiven Austausch.

    Liebe Grüße, Saskia

    P.S.: Etwas off-topic: Was hast eigentlich in Heidelberg studiert? Habt dort bis 2011 selber studiert 🙂

    • 😀 Das Schöne an uns Bloggern (und das sage ich ganz bewusst in Abgrenzung zur Diskussionskultur vor allem auf FB) ist, dass andere Meinungen willkommen und erwünscht sind (schließlich finden dann Austausch und Diskussion statt). Wir müssen uns nicht immer einig sein. Ich selbst habe da sehr viel dazugelernt – vor allem im Austausch (oder in Konfrontation 😀 ) mit den Leuten der positiven Verstärkung. Also, ich bin viel offener und toleranter geworden. Was ich allerdings nicht riechen kann, ist Besserwisserei, Dogmatismus und eine belehrende Attütide. Die begegnet mir häufig bei R+-Vertretern (wobei man das natürlich nicht verallgemeinern kann) und deswegen halte ich mich aus vielen Diskussionen raus. Stichwort: Ideologienkrieg :). Und jetzt schaue ich mal deinen Beitrag an.

  3. Hi, danke für Deine nette Antwort. Gleich mal eine Frage: Was sind R+-Verteter? Bis jetzt sehe ich unter den Bloggern kaum Diskussionen. Es scheinen sich eher immer alle einig über das zu sein, was der andere schreibt. Wahrscheinlich bin ich noch nicht lange genug dabei bzw. habe privat bisher nur wenige einzelnen Blogs verfolgt, um das beurteilen zu können.
    Generell scheue ich Konfrontationen, wenn ich selber über das Thema nicht gut Bescheid weiß. Geht es aber beispielsweise um gesundheitliche Themen, diskutiere ich gerne mit. Der Kult auf FB geht ja eher dahin, jeder sagt irgendwas zu einem Thema, damit er was gesagt hat, egal, ob er/sie tatsächlich sich Wissen dazu angeeignet hat und selbst wenn, wird doch oft einfach nur nachgeplappert, was der angebliche Experte "xy" dazu gesagt haben soll und dann zählt eh nur diese eine einzige Meinung, ohne mal über den Tellerrand zu schauen. Ich finde es schön, wenn jemand seinen Weg gefunden hat, aber das muss ja nicht unbedingt meiner sein. So genug philosophiert 🙂 Hab ein schönes langes Wochenende. Ich stöbere hier mal noch weiter rum. 😀

    • R+ sind die positiven Verstärker (R = reinforcement). Es gibt ja einige Blogs mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten, auch viele Klickerer. Und da in den Kommentaren geht schon mal was :). Ich find's voll anstrengend auf FB. Sachlicher Austausch ist da fast gar nicht mehr möglich. Immer muss einer anfangen zu schimpfen, zu beleidigen. Und da wäre man wieder bei der Akzeptanz von gegenläufigen Meinungen. Echt schade.

  4. Ihr Lieben, das mag ich so an euch allen – dass wir konstruktiv diskutieren und Meinungen austauschen können. Ich denke seit einiger Zeit, dass es nicht den einen Weg gibt. Kann es ja gar nicht geben. Jedes Pferd ist anders und jeder Mensch ist anders. Die Bedingungen, der Stall, das Gras, alles ist bei jedem ein kleines bisschen anders. Individuen kann man einfach nicht über einen Kamm scheren und dann DIE eine Methode als das einzig Wahre betrachten. Ich ärgere mich auch manchmal über die FB-Kommentare in manchen Gruppen, die dann im Brustton der Überzeugung und nicht immer im freundlichsten Ton (*offtopic: ich frage mich dann immer, wie die eigentlich mit ihren Pferden umgehen, wenn sie schon in Gruppen so dominant und respektlos sind *offtopic) behaupten, dass ihre Methode das einzig wahre sei und wenn man es nicht so oder so mache, dann könne man es ja auch gleich lassen oder hätte keine Ahnung. Grmpf! So, aber bevor ich mich über die Intoleranz aufrege, freue ich mich lieber über die Toleranz hier und in deinem schönen Artikel <3 Danke dafür und ganz liebe Grüße, Petra von der Pferdeflüsterei.de

  5. Liebe Nadja,
    wieso finde ich den Artikel erst jetzt? 🙂 Ganz toll geschrieben. Ich fühlte mich lange Zeit selbst im Zwiespalt, war hin und hergerissen zwischen der "Wahrheit" und dem was ich irgendwann mal für die Wahrheit gehalten habe. Inzwischen weiß ich endlich: Es gibt sie nicht, DIE Wahrheit. Eine Trainingsmethode muss mehr als funktionieren. Sie muss im Kopf des Trainers und auch im Kopf des Pferdes Sinn ergeben. Sie muss auf beide passen und sie darf sich sehr wohl auch immer wieder verändern und weiterentwickeln. Mit Faible praktiziere ich einen wilden Mix aus allem, dessen bin ich mir mittlerweile relativ sicher. Auch wenn ich R+ immer wieder als meinen aktuell roten Faden bezeichne, so ist mein Training definitiv nicht rein positiv verstärkt. Und ich finde das auch gar nicht schlimm. Mir gefällt die Diskussion, sie bringt uns alle nach vorne, wenn wir sie sachlich und respektvoll führen. Sowohl das Clickern als auch NHS sind Konzepte die funktionieren können, ohne dass das Pferd "leidet" oder wir es übergehen. Ich denke Achtsamkeit und Respekt sowie die Grundsätze eines echten Horseman sollten wir Methodenunabhängig schützen. Das Pferd stärken, unterstützen und selbst an ihm wachsen und ein besserer Mensch werden, das funktioniert, wenn man mit dem Herzen dabei ist und sich nicht in Ideologien verrennt.
    Liebe Grüße 🙂 Miri von MeinFaible

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