Vom Blick über den Tellerrand

Pickt ihr euch das Beste aus verschiedenen Reitweisen heraus? Oder folgt ihr strickt einem Mentor und einem System, einer Methode? So sehr manche es ablehnen, im Reiten eklektizistisch zu denken, mir hilft es sehr. Ich finde die Herangehensweise des Herauspickens auch nicht besonders problematisch, da sie voraussetzt, über den eigenen Tellerrand zu schauen, eine Eigenschaft, die sehr wichtig ist. 
Im heutigen Beitrag fasse ich mal kurz zusammen, wie mir verschiedene Ansätze geholfen haben und nach wie vor helfen, besser mit Pferden zu werden. 
  1. Ganz allgemein: Wenn ich mich nicht nach anderen Methoden im Umgang mit dem Pferd umgesehen hätte, würde ich heute nichts mehr mit den Tieren zu tun haben. Die „klassisch“ deutsche Reitlehre ist nichts für mich. Ich hab sie praktiziert und bin an ihr gescheitert. Und habe so zumindest erfahren, was ich nicht will.
  2. Von Pat Parelli habe ich gelernt, dass man jedes Problem, das man mit einem Pferd hat, auf eines (oder manchmal mehrere) seiner 7 Spiele herunterbrechen kann. Hängt sich ein Pferd zum Beispiel ins Halfter, hat es Spiel Nummer 2, genannt „porcupine“, nicht verinnerlicht. Es versteht nicht, auf direkten körperlichen Druck zu weichen, wenn es emotional wird. Damit ist das Verhalten begründet und man kann sich an die Lösung machen. Ich finde ein System, das solche Rückschlüsse erlaubt, nahezu genial. 
  3. Das Clickertraining hat mir verdeutlicht, dass Pferde Lernerfahrungen stärker mit ihrer Umgebung verknüpfen, als es mir bewusst war. Deswegen wird empfohlen, die gleiche Lektion an unterschiedlichen Orten zu klickern, um die Lektion insgesamt abrufbarer zu machen. Ich mag Clickertraining nicht besonders, da ich kein Freund von ständiger Leckerligabe bin und mir die Methode nicht genug auf die Natur des Pferdes als Fluchttier zugeschnitten ist. Es hat mir trotzdem etwas gebracht, mich damit zu beschäftigen.
  4. Von Buck Brannaman habe ich gelernt, wie wichtig das Gefühl ist, das wir in unseren Händen transportieren (Gefühl hat mehrere Bedeutungen und muss nichts Körperliches sein. Aber für mich war die körperliche Komponente das wichtigste Puzzleteil). Dass wir immer weich und freundlich beim Pferd anfragen – das geht für mich über die Phase 1, die Parelli lehrt, hinaus. Und dass firm und freundlich sich nicht ausschließen müssen. 
  5. An der akademischen Reitkunst von Bent Branderup gefällt mir die systematische Gymnastizierung des Pferdes, die es auch körperlich eingeschränkten Tieren ermöglicht, so fit wie möglich zu werden. Das kann man nicht von jeder Reitweise behaupten. Sie hat mich gelehrt, Widerstände im Pferdekörper exakt benennen zu können und ein durchlässiges Pferd (vom Genick bis in die Schweifrübe) in der Hand zu fühlen. Sie hat mir die Bedeutung der Biomechanik vor Augen geführt, und ich glaube durchaus, dass ich dank ihr meinen Beitrag leisten kann, um mein Projektpferd lange fit zu halten. 
  6. Dank Leslie Desmond, deren Ansatz von „feel und release“ ich nicht wirklich durchschaue, habe ich begriffen, wie wichtig es ist, unsere Emotionen im Griff und eine positive Grundeinstellung zu haben. Beides beeinflusst unser Verhältnis zu Pferden enorm, und wenn wir es uns schwer machen, weil wir uns selbst im Weg stehen, dann machen wir auch dem Pferd das Leben schwer. Viele Feinheiten, die gutes Horsemanship ausmachen, wie die Bedeutung von Rhythmus, hat sie mir bewusst gemacht.
wie werde ich dem Pferd gerecht
Wie werde ich meinem Pferd gerecht? Jeder sucht auf diese Frage
eine eigene Antwort. Foto: Nadja

Angesichts dieser langen Liste mag einer denken, ich bin wankelmütig und kann mich nicht entscheiden. Das mag den Weg zum Ziel durchaus betreffen. Das Ziel dagegen ist mir sehr klar: ein entspanntes, zufriedenes und gesundes Pferd. Die genannten Reitlehren und Horsemen haben unterschiedliche Schnittmengen. Ich denke aber, dass uns jede ein Stück weit auf unserem persönlichen Weg weiterbringen und bereichern kann und dass es sich lohnt, sich mal damit zu befassen, um eventuell etwas (das Beste?) für sich mitzunehmen.
PS: Was die großen Namen in diesem Post angeht – ich würde gerne behaupten, ich wäre Schülerin der drei, aber da wäre nicht richtig. Ich habe die gleiche Luft geatmet wie Pat Parelli, Buck Brannaman und Leslie Desmond. Mit den letzten beiden habe ich mich unterhalten, und ich lese ihre Bücher und schaue ihre DVDs. Aber mit keinem der Drei bin ich jemals geritten (habe es aber vor). Deswegen steht es mir nicht zu, mich als ihre Schülerin auszugeben. 

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2 Kommentare

  1. Ich verfolge ja denselben Ansatz und finde es dementsprechend super, dass Du das auch so siehst. 😉 Ich glaube schon, dass es wichtig ist eine klare Grundlinie zu verfolgen, aber die Bedenken man könnte sein Pferd durcheinander bringen o.ä. verstehe ich nicht. Mal angenommen ich bin Westernreiter. Warum sollte ich dann mit meinem Pferd nicht klassische Arbeit an der Hand machen können? Das Pferd weiß doch nicht, dass das zu einer anderen Lehre gehört. 😉 Natürlich kann man nicht alles wahllos mischen (und sollte das wohl auch nicht), aber ich finde es sehr sinnvoll auch über den Tellerrand zu schauen und sich sinnvolle Elemente anderer Lehren rauszupicken und diese für sich zu adaptieren. Denn seien wir mal ehrlich: Ich habe bisher noch keine Lehre entdeckt, die unfehlbar ist (auch wenn jede das von sich behauptet). Jede hat Stärken und Schwächen. Warum sollte man Schwächen nicht durch ausgleichen und Stärken anderer Herangehensweisen für sich nutzen?!

  2. Sehe ich genauso. Ich sehe es an meinem Projektpferd. Seine Besitzerin arbeitet ihn komplett anders als ich – und er kann zwischen uns hin-und her schalten, weiß, bei wem er was wie machen muss und wer auf was welchen Wert legt (was für ein Satz). Ich denke, dass man sich bei der konkreten Schulung der Hilfen schon darüber im Klaren sein muss, welche Schenkelposition jetzt was bedeuten soll, was dann der klaren Linie entspricht. Aber neue Denkansätze und Perspektiven anzunehmen hat noch keinem geschadet. Eher das verbissene Nacheifern von welchem Meister auch immer.

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