Shit happens – Fesselspiele auf der Koppel

Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einer Alptraumgeschichte? Beziehungsweise einer, die leicht hätte zum Alptraum werden können, zum Glück aber für alle Beteiligten, Pferd und Mensch, gut ausgegangen ist?

Es geht los mit einer Frage. Welche Führstricke verwendet ihr? Ich persönlich mag die schwereren, die sich nicht dehnen (und daher nicht aus Baumwolle sind), weil sie das Gefühl/den Druck am Seil direkter ans Halfter und den Pferdekopf vermitteln. Aber darum soll es ja gar nicht gehen heute. Was auch immer ihr nehmt, würde ich euch wärmstens empfehlen, niemals zwei normale Führstricke (mit Metallpanikhaken) zusammenzubinden, um damit zu führen (Die Ursprungsintention war, sie als Zügel einzusetzen).

Die Killerbremse attackiert

Hier kommt das Warum: Ich stiefelte die Koppel hoch, um den Friesen zu holen. Der wurde von einem Kumpel entlang der Waldgrenze hin und her gejagt, während sein anderer Friesenfreund gerade dabei war, die Alm herab zu klettern, um zur Reitbeteiligung und dem Futter zu kommen. 
Als ich den Friesen dann endlich am doppelt langen Führstrick hatte, wurde ihm dann beim Abstieg klar, dass sein Koppelkumpel schon unten war. Entsprechend schneller marschierte er die Koppel runter, was aber per se eher angenehm ist, da er dann lernt seine Füße zu sortieren (das ist einer der Vorteile eines super langen Seils: Das Pferd kann sich seinen Weg den Hang herunter suchen, was oft Serpentinen sind, während ich geradeaus laufen kann. Wir treffen uns dann unten, hatten aber die ganze Zeit Kontakt).
Da der Gute solide ausgebildet und super brav ist, kann man beim Führen auch problemlos weiter hinten, auf Höhe der Kruppe, laufen. Ich finde es wichtig, ein Pferd auch aus dieser Position noch beeinflussen zu können, was er normalerweise auch ist. Jetzt kommt das Aber: Ich laufe also auf Schweifhöhe, der Friese mit der Nase Richtung Ausgang und im ordentlichen Tempo. Da kommt die Pferdebremse des Grauens angeflogen. Ich meine nicht diese kleinen, ein zwei Zentimeter langen Viecher. Die attackieren ihn ständig, und es nervt ihn, aber er kommt klar. Nein, diese spezielle Bremse ist gute 4 bis 5 Zentimeter lang. Sie gehört zu der Sorte, die man nicht mit der Hand totschlägt, da man Angst hat, dass sie einem im Todeskampf die Finger abbeißt. Draufhauen wäre für dieses Tier wahrscheinlich eher eine Form von Streicheln. Man kriegt ja schon die kleineren Ausgaben kaum totgeschlagen. Bevor das hier zu martialisch wird (und ja, wenn es um Bremsen geht, schaut meine Tierliebe kurzfristig in die andere Richtung, pfeift und lässt mich tun, was ich tun muss), zurück zum Thema. Diese Killerbremse kommt also angeflogen, sondiert die Lage und setzt sich, wie so oft, genau oberhalb der Schweifrübe – dorthin, wo das Pferd sie höchstwahrscheinlich nicht erwischen wird. Der Friese hört sie anschwirren (oder sieht sie – der Brummer ist ja in etwa so unauffällig wie ein Scheinwerfer im Dunkeln) und zieht am Seil. Noch kein Thema. Aber dann entscheidet er, dass er besser mit beiden Hinterbeinen austritt, um das Vieh auf seiner Kruppe loszuwerden. Und ich entscheide, das Seil jetzt besser loszulassen, um diesen Hinterbeinen auszuweichen. 
Ja, es ist total idyllisch. Ja, die Pferde haben genug Auslauf und stärken beim Klettern ihre Hinterhand. Nein, Pferde holen auf dieser Koppel macht keinen Spaß. Vor allem, wenn man vom Waldrand (und aus dem Bild nach rechts führt der noch ein ganzes Stück weiter nach oben) wieder ganz nach unten muss (zu sehen hier links im Bild: der graue Fleck ist der Anhänger mit dem Wasser. Und dort ist man noch lange nicht am Eingang der Koppel). Foto: Nadja (genervt) 
Mit dem Ergebnis, dass der Friese, der jetzt merkt, dass ich nicht mehr am Seil hänge, die Entscheidung trifft, seinem Kumpel zum Koppeleingang zu folgen. Er trabt los, und fällt dann in Galopp, das Seil mit der Metallschnalle am Ende baumelt munter zwischen seinen Beinen. Er geht nicht durch, sondern galoppiert flott seinem Freund hinterher. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon zu genervt von der ewigen Koppelsteigerei, der Hitze und den Saubremsen, als dass ich mich noch groß aufgeregt hätte. Also bin ich ihm hintergestiefelt, die Richtung war ja die richtige. Aber in meinem Hinterkopf tauchte schon die Frage auf: Wie verhält sich ein loses Seil in schneller Bewegung, wenn es am Ende von einem Haken beschwert wird?

Fesselspiele

Weiter unten auf der Koppel kommt mir der Friese dann wieder entgegen – im Trab. Das Seil baumelt allerdings nicht mehr lose und fröhlich zwischen seinen Beinen. Er trabt an mir vorbei, ich rufe ihn, er wird langsamer und hält an – nicht wegen mir, sondern wegen des Zugs am Seil: Als ich bei ihm ankomme, sehe ich nämlich Folgendes: Das Seil läuft von seinem Halfter, um sein rechtes Hinterbein, und das Seilende mit dem Haken hat sich zwei Mal (!) um seine linke Fessel gewickelt. Wenn ich ihn nach alter Westernmanier hätte brechen (also einreiten) wollen, hätte ich das Seil nur kürzer verschnallen müssen – die Wirkung wäre die Gleiche gewesen: ein gefesseltes Pferd, das seine Beine nicht bewegen kann, ohne dass das Auswirkungen auf seinen Kopf hat. Zum Glück hatte er noch genug Spiel, den Kopf oben tragen zu können. Ich habe zunächst mal den Strick vom Halfter gelöst (ich weiß nicht, ob dieser erste Reflex, die Verbindung von Halfter und Hinterhand aufzuheben, der richtige war. Wenn er dann losgelaufen wäre, hätte ich ihn nicht anhalten können, und das Seil wäre immer noch um sein Hinterbein geschlungen gewesen). Dann bin ich ans linke Hinterbein und habe gefühlt eine Ewigkeit gebraucht, um diese Sch***-Schlingen um die Fessel zu lösen. Während der ganzen Zeit stand das Pferd wie eine Eins. Nicht mal nach einer Bremse hat er getreten (die Killerbremse war zum Glück nirgends zu sehen). 
Es ist nichts passiert. Meine Herzfrequenz hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen – mittlerweile habe ich gelernt, dass auch in heftigen Situationen Panik nichts bringt. Und was noch besser war: Der Friese war nicht panisch. Ich glaube, er hatte nicht mal Angst. Er war nur verwirrt, wieso er seine Füße nicht so bewegen konnte, wie er das gewöhnt war. Ich würde seine coole Reaktion ja unheimlich gern meinem tollen Training zuschreiben, aber das war es nicht (nur). Vielmehr hat das Pferd von Natur aus nahezu keinen Oppositionsreflex. Du zuppelst am Halfter, das Pferd senkt den Kopf. Du legst die Hand an den Hintern, das Pferd weicht aus. Ich denke, dass ihm diese Disposition davor bewahrt hat, durchzudrehen und sich zu verletzen. 
Die Chance dazu wird er künftig nicht mehr bekommen. Als erste Gegenmaßnahme habe ich das Seil getauscht – gegen ein langes Bodenarbeitsseil, schwer, aber ohne Haken am Ende. In das wird er sich garantiert nicht verwickeln, auch wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde. Natürlich lässt niemand gern sein Pferd davonrennen. Aber es kann passieren – auch wenn das Pferd berechenbar ist, Bremsen sind es nicht.

PS: Unter dem Behang bildet sich bei Friesen und Konsorten ja gern mal Mauke. Hab heute im Stall seine Füße kontrolliert und festgestellt, dass die Fesseln so etwas wie eine erogene Zone sind (sorry Friese, dass ich das jetzt hier öffentlich mache). Er – normal eher ein Zappelphilipp – hat sich keinen Zentimeter bewegt, als ich mit Hand, Bürste und Salbe zu Gange war und sich sichtbar entspannt. Vielleicht hat mir die Tatsache, dass er gern an den Fesseln angefasst wird, auf der Koppel auch geholfen. 🙂

PPS: Genau das, was Warwick Schiller in diesem Video demonstriert, habe ich auch mit dem Friesen geübt.

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