Was bedeutet Druck für dich und dein Pferd? 

In einem meiner letzten Beiträge ging es um Druck und Emotionen. Anja von „Lehrmeister Pferd“ hat mich daraufhin kontaktiert, weil sie die Gedanken noch deutlich weiter ausgeführt hat. Ich fand das schlicht großartig. Und deswegen gibt es heute hier einen Gastartikel von Anja zum Thema 🙂

 

Druck: Auf der einen Seite brauchen wir ihn und möchten so unser Pferd auch auf die weite Welt vorbereiten, auf der anderen Seite wollen wir unser Pferd nicht einengen, nicht erdrücken, nicht zuviel Druck ausüben.

Pferde verstehen, Druck, Horsemanship

Auch eine Berührung ist „Druck“. Foto: Anja

Mal abgesehen davon, was Druck aber für uns ist – weißt du, was es für dein Pferd bedeutet?

Ich bin mit meinem ersten Pferd (ein Haflinger, damals schon etwas älter) so groß geworden, dass Druck immer auch irgendwie etwas Negatives ist. Horsemanship hat mich fasziniert, aber oft auch abgeschreckt. Ich fand es total toll, wenn ich die „Großen“ gesehen habe, die auf kleinste Zeichen ihr Pferd haben weichen lassen können, und wollte das auch. Alleine mit meinem Pferd habe ich mir das auch teilweise selbst erarbeiten können. Aber Unterricht hatte ich leider nie – bis auf eine Stunde, in der ich mein Pferd teilweise gar nicht wiedererkannt habe. Er, der eigentlich immer sehr freundlich und auch kooperativ war, empfand meinen (angeleiteten) Druck als offenbar zu viel. Leider habe ich das erst viel später begriffen und mich danach erstmal vom Horsemanship abgewendet.

Wann ist Druck stimmig?

Auch wir Menschen mögen zu viel Druck gar nicht. Wir wollen Selbstbestimmung und Freiheit. Wir wollen auch nicht eingeengt werden.

Aber ich möchte ein anderes Bild zeichnen: was ist mit einem Händedruck, einer Umarmung? Die fühlen sich meistens nur gut an, wenn sie nicht zu lasch, aber auch nicht zu fest sind. Mein Opa sagte immer, man soll eine Hand bestimmt drücken. Bestimmt? Klingt auch ein bisschen nach stimmig. Wann ist Druck stimmig?

Ich möchte die Idee der Geborgenheit aus der Zweibeiner-Psychologie leihen, um dem stimmigen Druck mal auf den Grund zu gehen.

In einem wunderschönen Buch (1) geschrieben von Gabriele Frick-Baer und Udo Baer mit dem Titel „Das große Buch der Gefühle“* werden verschiedene Gefühle beleuchtet, darunter eben auch die Geborgenheit. Als wichtige Elemente bezeichnen sie das Gefühl von Schutz, Wärme und Vertrauen. Da die Geborgenheit ein soziales Gefühl ist, das meist in Verbindung zu anderen Menschen steht, sind „Spürende Begegnungen“ besonders wichtig. Schon als Föten erfahren wir im Mutterleib Wärme und Schutz, hören schon die bald so vertrauten Klänge und als Babys können wir auch Blickkontakt aufnehmen und nach Mamas und Papas Händen greifen. Und wie schön ist es, wenn sie auch nach einem greifen und sich beide so gegenseitig spüren können.

Es geht genau darum: einander spüren. Dazu ist Druck nötig.

Die Krönung, so schreiben die Autoren, ist das Anlehnen. Es bedeutet, „sich Halt zu geben“ und ist somit der deutlichste Ausdruck und Quelle von Geborgenheit.

Gut, hier ging es gerade eigentlich um Zweibeiner. Aber dennoch finde ich, kann man das herrlich auf  Pferde übertragen. Pferde sind Fluchttiere und wollen Sicherheit. Die finden sie unter natürlichen Umständen meist in ihrer Herde und durch Anlehnung (!!) an ihre Leittiere. Und wenn wir mit ihnen arbeiten, dann wollen wir, dass sie sich bei uns sicher und wohlfühlen.

Diese Idee wird auch noch einmal ganz klar, wenn man sich vor Augen führt, dass z.B. Pat Parelli mit seinem Natural Horsemanship zwar eine Methodik erschaffen hat, es ihm aber eigentlich darum geht, Zwei- und Vierbeiner mental und emotional fit zu kriegen, damit sie besser miteinander kommunizieren.


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Ich bin standhaft: „Ich gehe nicht weg“

Ich möchte das einem Beispiel deutlich machen. Jeder kennt die Spiele 2, 3 und 4: Stachelschwein-, Fahr- und YoYo-Spiel. Es geht darum, das Pferd oder Teile des Pferdes durch konstanten oder rhythmischen Druck zu bewegen, ohne das man sich selbst bewegt. Soviel zur technischen Grundidee.

Viele Trainer weißen ihre Schüler regelmäßig darauf hin, dass das Pferd sich bewegen und der Mensch seinen Standpunkt nicht verlassen soll. Woran erinnert das? Richtig: der Mensch soll standhaft, beständig sein. Und was sage ich denn damit, wenn nicht „Ich gehe nicht weg“?

Probiert mal aus, diesen Satz von der Stimme im Kopf nicht aggressiv sagen zu lassen, sondern voller Liebe und Geborgenheit! Ein Gedanke am Rande dazu: Der Satz „So schnell wirst du mich nicht los!“ hört sich auch nur von Menschen gut an, die wir mögen und lieben…

Vielleicht ist genau das der Unterschied zwischen jemandem, der Horsemanship gut kann, und jemandem, der eine Verbindung zu den Pferden aufbauen kann. Der eine setzt sich durch, der andere ist beständig und wohlwollend.

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Beim Putzen machen wir ebenfalls „Druck“ – ob wir wollen oder nicht. Foto: Anja

Diese Idee mit der Geborgenheit findet sich aber nicht nur, wenn man sich Horsemanship anschaut. Auch Linda Tellington-Jones arbeitet gerne damit, die Pferde „einzurahmen“ und ihnen so das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben. So begrenzt sie z.B. beim Führtraining mit einem Fohlen eine große Reithalle durch eine menschliche Barriere. Oder arbeitet gerne mit einer Wand auf einer Seite vom Pferd. Wichtig ist aber, dass Linda eigentlich nie versucht, ein Kräftemessen mit einem Pferd entstehen zu lassen oder gar ein Pferd einzuengen.

Am Rande: Ihre Arbeit ist unglaublich positiv und von dieser Freundlichkeit kann sich definitiv jeder mal eine Scheibe abschneiden!Vielleicht ist es nicht direkt die Druckstärke, die entscheidet, ob Druck positiv oder negativ ankommt, sondern die Art, wir wir den Druck anbringen. Mein aktuelles Pferd ist noch jung und ein kleiner Kämpfer. Er möchte „richtig“ geführt werden. Habe ich Zweifel, übersieht er das nicht. Ich habe von ihm gelernt, dass er mir Beständigkeit dankt und dass Druck nicht immer nur bedeutet, dass man seine Meinung durchsetzt, oder das Pferd objektiv bewegt. Druck ist wichtig zur Kommunikation. Auch Parelli beginnt seine 7 Spiele mit dem Friendly Game: Es wäre ohne Druck (also ohne etwas oder einander zu spüren) undenkbar.

Druck: Das Versprechen zu bleiben

Wenn wir das Pferd emotional und mental fit machen wollen, müssen wir ihm auch zeigen, dass unser Druck nicht immer nur bedeutet: „Tu, was ich dir sage, und verschwinde besser“. So trainieren wir unseren Pferden an, dass sie am besten bei jeglicher Berührung erst einmal abhauen und sich dem Druck entziehen.

Das ist aber gar nicht Sinn und Zweck. Wir wollen unsere Pferde ja auch streicheln, putzen und manchmal auch richtig fest massieren.

Philosophisch gesprochen, bedeutet Druck für mich, das Versprechen zu bleiben, nicht zu gehen, für den anderen da zu sein und einander zu spüren. Für mich ist die Art, wie der Druck entsteht, das, woran wir gute Pferdemenschen von schlechten unterscheiden können: aggressiv und sich durchsetzend versus wohlwollend, liebevoll und bereit, in Kommunikation zu treten.

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Wenn du mehr von Anja lesen willst, dann schaue hier auf ihrem Blog vorbei.

 

1) Baer, U. & Frick-Baer, G. (2014). Das große Buch der Gefühle*. Weinheim, Bergstr: Beltz, J. S. 84-110; ISBN: 978-3-407-85846-7

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2 Kommentare

  1. Toller Text! Ich sehe das genauso: “ Es ist wie ein Kind an die Hand nehmen!“ Auch dazu braucht es ein bißchen Druck, aber es bietet auch Schutz, Halt und Führung.

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